Sündige Seide: Roman (German Edition)
eines der beliebtesten Stücke aus dem Sommerkatalog von French Silk, und band ihr schulterlanges Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann trat sie aus dem Bad und betrachtete düster den massiven Kirschholzschrank an der Wand gegenüber.
Als sie vor drei Jahren das alte Lagerhaus zur Zentrale von French Silk gemacht hatte, hatte sie das Obergeschoß als Privatwohnung
ausbauen lassen. Es war die zweite Wohnung in Claires Leben. Zuvor hatte sie im Haus ihrer Großtante Laurel an der Royal Street nahe der Esplanade gelebt.
Nach Tante Laurels Tod waren Claire und Mary Catherine ausgezogen, aber Claire hatte es noch nicht übers Herz gebracht, das Haus ausräumen zu lassen und zu verkaufen.
Der Kirschholzschrank war das einzige Stück, das Claire bei ihrem Umzug mitgenommen hatte. Sie hatte ihn immer bewundert. In seiner Schlichtheit paßte er gut zu der modernen Einrichtung der Wohnung. Sie hatte vom Architekten eigens eine Wand in ihrem Schlafzimmer gefordert, die groß genug war, um das Möbelstück aufzustellen.
Claire ging zum Schrank, machte die Tür auf, ging vor den Schubladen in die Hocke und zog die unterste heraus. Das war nicht ganz einfach, denn sie war bis obenhin mit Ausschnitten aus Zeitungen und Zeitschriften vollgepackt und schwer. Den Datumsangaben nach stammten die Ausschnitte aus den letzten Jahren.
Stundenlang hatte Claire über den Artikeln gebrütet, die Informationen darin verdaut und ihre Reaktion darauf geschult. Sie vernichtete sie nur ungern. Sie zu sammeln, war wie ein faszinierendes Hobby gewesen, das sie im Lauf der Zeit beinahe liebgewonnen hatte.
Aber jetzt mußte sie alles loswerden. Augenblicklich. Es wäre Wahnsinn, die gedruckte Dokumentation über Reverend Jackson Wilde zu behalten.
Die Hotelsuite war vollkommen überlaufen. Manche waren bloß zum Gaffen gekommen; andere wollten wirklich helfen. Alle schienen durch den plötzlichen Verlust ihres Anführers wie vor den Kopf gestoßen, wanderten ziellos durch die Suite, sammelten sich zu kleinen Grüppchen, trennten sich wieder, schüttelten die Köpfe und flüsterten immer wieder unter Tränen: »Ich kann es einfach nicht fassen.«
Nach dem Verhör durch Cassidy hatte man Ariel aus der San-Louis-Suite ausquartiert. Ihre neue Unterkunft war kleiner und
weniger luxuriös. Ihre Privatsphäre war eingeschränkt. Das ständige Kommen und Gehen der Trauernden machte sie wahnsinnig. Sie machte Josh ein Zeichen, der augenblicklich zu ihr eilte. Nachdem er kurz mit ihr geflüstert hatte, hob er die Stimme, um alle auf sich aufmerksam zu machen.
»Ariel ist erschöpft. Wir möchten Sie darum bitten, die Suite zu verlassen, damit sie sich ausruhen kann. Wenn wir etwas brauchen sollten, werden wir es Sie wissen lassen.«
Wildes Anhänger zogen ab. Die Leute sahen traurig und verloren aus. Sie warfen der Witwe mitleidige Blicke zu, die sich mit untergeschlagenen Beinen ans Ende des Sofas zurückgezogen hatte. Ihr schwarzes Kleid schien sie langsam zu verschlingen, so als würde sie darin schmelzen.
Sobald Josh die Tür hinter dem letzten Nachzügler zugemacht hatte, setzte sich Ariel auf und schwang die Beine von der Couch. »Gott sei Dank, daß sie endlich weg sind. Und mach das verdammte Ding aus. Die hat mir gerade noch gefehlt.« Sie zeigte auf den Fernseher. Der Ton war abgedreht, aber auf dem Bildschirm war eine Frau zu sehen, die einer Horde von Reportern zu entkommen versuchte.
»Wer ist das?« fragte Josh.
»Diese Frau von French Silk. Vor einer Minute haben sie ihren Namen eingeblendet.«
»Das ist also Claire Laurent.« Josh trat zurück, um besser sehen zu können. »Ich habe mich schon gefragt, wie sie wohl aussieht. Sie hat gar keine Hörner und keinen langen Schwanz, wie Daddy den Leuten weismachen wollte. Und sie sieht auch nicht so aus wie eine Metze. Ganz im Gegenteil, würde ich sagen.« »Wen kümmert es schon, was du sagen würdest.« Ariel ging zum Fernseher und schaltete ihn ab.
»Interessiert dich nicht, was Miss Laurent zu sagen hat?« fragte Josh.
»Nicht im geringsten. Sie wird ihr Fett schon noch abkriegen, aber nicht heute. Alles zu seiner Zeit. Bestell mir was beim Zimmerservice, ja? Ich verhungere fast.« Sie verschwand im Nebenzimmer.
Joshua Wilde, der achtundzwanzigjährige Sohn aus Jackson Wildes erster Ehe, rief den Zimmerservice an und bestellte ein leichtes Mittagessen für seine Stiefmutter und Muffuletta, eine Sandwichspezialität aus New Orleans, an der er Geschmack gefunden
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