Sündige Seide: Roman (German Edition)
befreite sich aus seinem Griff.
»Ja, Sie haben recht«, schleuderte sie ihm entgegen. »Ich schaue immer in Mamas Zimmer, wenn ich heimkomme. Ihr Bett war leer und der Koffer fort, deshalb wußte ich gleich, was los war. Ich wollte schon raus und sie suchen, als ich den Anrufbeantworter blinken sah. Ich habe Andre sofort zurückgerufen. Er sagte, er hätte Mama in der Lobby des Fairmont gesehen, sie in sein Büro gebracht und ihr einen Sherry gegeben. Sie war verwirrt und desorientiert, als ich ankam, wie so oft, wenn ihre Anfälle nachlassen. Ich habe sie nach Hause gefahren und ins Bett gebracht. Das ist die Wahrheit.«
»Oh, ich glaube Ihnen, Claire«, sagte er. »Ich will bloß wissen, wo zum Teufel Sie in der Zeit zwischen dem Ende der Predigt und Mitternacht gesteckt haben. Waren Sie vielleicht zweimal im Fairmont? Einmal, um Wilde umzulegen, und dann, um Ihre Mutter abzuholen?«
Sie schwieg.
»Man könnte einen Tanker durch die Lücke in Ihrem Alibi steuern.« Er wurde lauter.
»Ich war spazieren.«
Offensichtlich hatte er eine geschicktere Lüge erwartet. Auf eine so schlichte Erklärung war er nicht gefaßt.
»Spazieren?«
»Ganz recht. Lange. Allein. Durch das Viertel.«
»Mitten in der Nacht?« fragte er skeptisch.
»Das mache ich oft. Fragen Sie Yasmine. Sie schimpft mich ständig aus deswegen.«
»Yasmine würde jede Lüge decken, die Sie sich ausdenken.«
»Es ist keine Lüge. Es ist die Wahrheit.«
»Warum wollten Sie ausgerechnet in dieser Nacht spazierengehen?«
»Ich war aufgeregt.«
»Ein Mord ist etwas Aufregendes.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte zurück zur Eingangstür von French Silk. »Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen.«
»Von wegen.« Sein Arm schoß vor, erwischte sie am Ärmel und
riß sie wieder herum. »Ich bin stinkwütend über Sie, Miss Laurent. Eigentlich sollte ich Sie auf der Stelle aufs Revier bringen, Ihnen die Fingerabdrücke abnehmen und einen Haftbefehl auf Ihren Namen ausstellen lassen. Ich glaube nicht, daß Ihnen kotzgrüner Drillich steht, Claire. Und die Unterwäsche kommt dort auch nicht von French Silk.«
Angstschauer durchliefen sie. Nichts fürchtete sie so sehr, wie eingesperrt zu werden. Sie hatte weniger Angst vor dem Eingeschlossensein als vor dem Verlust der Freiheit.
Cassidys Gesicht war steinern vor Wut. Eine Haarlocke fiel ihm in die Stirn. Seine leuchtenden Augen schienen sie aufzuspießen. Zum ersten Mal hatte Claire wirklich Angst vor ihm. Vielleicht würde er tatsächlich die Geduld mit ihr verlieren und seine Drohung wahr machen. Sie mußte reden, und zwar schnell, weil sie nicht einmal eine Nacht, eine Minute im Gefängnis überstehen würde.
»Ich bin nach der Predigt heimgekommen und –«
»Wann?«
Nervös fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich schwöre Ihnen, ich weiß es nicht mehr. Kurz nach zehn, denke ich.«
»Damit kann ich leben. Der Gottesdienst war um einundzwanzig Uhr zwanzig zu Ende. Wenn Sie sich danach durch den Verkehr um den Superdome kämpfen mußten, dann waren Sie etwa gegen zehn hier.«
»Harry war bei Mama geblieben. Als ich reinkam, schickte ich sie heim, später habe ich das bereut. Ich kam nicht zur Ruhe, konnte nicht schlafen. Ich versuchte zu arbeiten, aber ich mußte ständig an Jackson Wilde denken.«
»Warum?«
»Ich hatte ihn im Fernsehen gesehen, aber das war etwas ganz anderes, als ihm persönlich zu begegnen. Er war ein dynamischer Redner. Er strahlte unglaubliche Macht aus und schlug seine Zuhörer vollkommen in Bann. Ich stimme zwar in keinem Punkt mit ihm überein, aber mich beeindruckte das Charisma, mit dem er predigte. Die Leute um mich herum waren wie
verzaubert. Bis zu dieser Nacht hatte ich nicht wirklich begriffen, wie stark sein Einfluß war. Ich bekam Angst, daß er tatsächlich in der Lage sein könnte, French Silk zu vernichten. Als ich ans Podium ging und ihm in die Augen schaute, kam ich mir vor wie David, der Goliath gegenübertritt.«
Beschwörend schaute sie Cassidy an. »Sie müssen begreifen, was mir mein Geschäft bedeutet; nur dann können Sie sich vorstellen, wie ich mich in dieser Nacht gefühlt habe. Ich kann das nur als Panik bezeichnen. Alles, wofür ich so schwer gearbeitet habe, wurde von einer überwältigenden Macht bedroht. In meiner Vision sah ich alles, was ich so mühsam aufgebaut hatte, zusammenbrechen.«
Cassidy sagte leise: »Ich verstehe das, Claire. Besser, als Sie glauben.« Dann fixierte er sie wieder. »Hatten
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