Suendiger Hauch
gewesen. Zwei lange Tage, die Kathryns Herz zu brechen drohten. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, konnte sie den mühsam beherrschten Ausdruck auf dem Gesicht ihres Ehemannes sehen. Sie konnte das Blut an ihren Händen sehen, und sie wusste, was er dachte. Seine Augen hatten sich vor Abscheu verdunkelt. Abscheu vor einer Frau, die in der Lage war, ein Kind aufzuschlitzen, als sei es nicht mehr als ein Stück Fleisch.
All das hatte sie schon zuvor gehört, während der Tage, als sie ins St. Bart’s geschickt worden war. Und Lucien fühlte dasselbe - das hatte er ihr unmissverständlich klargemacht. Lieber Gott, wie sollte sie ihm jemals wieder gegenübertreten.
Am späten Nachmittag des zweiten Tages überbrachte ein Bote eine Nachricht der Constables Perkins und Nivens, in der sie ihren Besuch bei Lady Litchfield für den folgenden Morgen ankündigten.
Kathryns Herz hämmerte wie verrückt. Dunstan war bestimmt tot, und die Männer kamen, um sie zu verhaften. Sie würden sie wieder in die Anstalt zurückbringen. Ihr Mund fühlte sich völlig ausgetrocknet an, und ihre Hände begannen zu zittern.
Die Männer würden kommen, und selbst Lucien war von ihrer Schuld überzeugt. Sie fühlte, wie sich die Angst wellenartig in ihr ausbreitete. Bei dem Ausblick auf ihre Zukunft, die zu düster war, um sie sich wahrhaftig vorstellen zu können, sank Kathryn auf einen Stuhl in ihrem Schlafzimmer und begann zu weinen.
23
Sie musste fort. Sie konnte sich nicht mit der Möglichkeit -nein, sogar der Wahrscheinlichkeit - konfrontieren, dass sie wegen Mordes verhaftet würde. Kathryn war die erste Verdächtige, und alle Welt wusste es. Selbst Lucien war von ihrer Schuld überzeugt.
Lucien. In Wahrheit war er der Grund für ihre Flucht. Sie würde nie den Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen können, als er sie mit Michael beobachtet hatte. Und sein maskenhaftes Gesicht, nachdem sie ihr schauderhaftes Werk beendet hatte.
Es war schon schlimm gewesen, dass er sie bei ihrer Arbeit im Untergeschoss des College beobachtet hatte. Doch dies hier war noch viel schlimmer. Er würde sie nie wieder ansehen können, ohne an das blutdurchtränkte Kleid denken zu müssen und ohne sich zu fragen, was für eine Frau sie war. Ganz bestimmt war Allison Hartman nicht so eine Frau, im Gegenteil, sie war der Inbegriff der weichen Weiblichkeit. Lady Allison war genau die Frau, die Lucien gewollt hatte.
Kathryns Hände zitterten, als sie das dritte einfache Kleid in ihre Tasche packte, die silberverzierte Haarbürste von der Kommode nahm und sie gemeinsam mit zwei weißen Nachthemden in die Tasche warf. Sie packte noch ein zusätzliches Paar Schuhe ein, das ein wenig bequemer war als das feste Paar Lederschuhe, das sie für die bevorstehende Reise trug.
Sie sah zum Fenster. Es war spät, und alle Bediensteten schliefen bereits. Das Schloss wurde von tiefer Dunkelheit eingehüllt, obwohl sich eine schmale, silbrige Mondsichel durch die Wölken schob. Kathryn holte zitternd Luft und ließ ihren Blick ein letztes Mal durch das Zimmer schweifen, das ihr so sehr ans Herz gewachsen war und von dem sie wusste, wie sehr sie es in Zukunft vermissen würde: die hübschen Samtvorhänge, so elegant und gemütlich zugleich, das Bett, das sie so oft mit Lucien geteilt hatte, die Stunden der Lust, die sie beide in den Armen des anderen gefunden hatten.
Kathryn legte die Arme um ihren Körper und rieb sich die Schultern, während sie eine Woge der Verzweiflung niederkämpfte. Sie würde nicht an Lucien denken - sie verbot sich jeden Gedanken an ihn. Denn wenn sie es tat, wäre sie nie fä-hig, ihn zu verlassen. Ihr Blick schweifte kurz zu der Notiz, die sie für ihn auf den kleinen französischen Sekretär gelegt hatte. Mit diesem Brief gab sie ihm seine Freiheit zurück und drängte ihn dazu, das Leben zu führen, das er sich immer gewünscht hatte. Er verdiente es, nach all den Schwierigkeiten, die ihm durch sie entstanden waren.
Kathryn wischte sich eine Träne von der Wange, die sich zwischen ihren Wimpern geformt hatte, verschloss ihre Tasche und verließ das Schlafzimmer.
Unter Aufbietung ihres ganzen Willens vermied sie es, noch einmal in Michaels Zimmer zu gehen, um nach ihm zu sehen, doch sie wusste, dass sein Kindermädchen am Fußende seines Bettes schlief und wollte sie auf keinen Fall aufwecken. Michaels Heilung machte gute Fortschritte. Es würde ihm bald wieder gut gehen, und sobald Lucien zurückgekehrt war, würde Michael in guten
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