Suendiger Hauch
nicht.
Er wartete, bis Reeves die Tür zugezogen hatte, ein Geräusch, das sich in Kathryns Ohren wie das Schließen eines Sarges anhörte. Schließlich wandte er sich um. In seinen dunklen Augen lag glühender Zorn, als sein Blick auf ihr Gesicht traf.
»Wer sind Sie?« Eine leise Drohung lag in seiner Stimme, die Kathryn unwillkürlich einen Schritt zurücktreten ließ. Sie wäre am liebsten weggelaufen. Jeder Ort auf der Welt wäre in diesem Augenblick für sie akzeptabel gewesen - nur nicht dieses Arbeitszimmer. Sie fuhr mit der Zunge über ihre Lippen, obwohl sie sich auch damit nicht dazu bringen ließen, sich zu bewegen und die Worte zu formen.
»Sie lassen mich einen Boten auf eine irrwitzige Reise durch das halbe Land schicken. Sie haben mich belogen. Sie haben sich in der Freundlichkeit meiner Tante gesonnt, und Sie haben meine Großzügigkeit schändlich ausgenutzt. Und nun will ich sofort wissen, wer Sie sind und warum Sie hier sind.«
Ihrem Instinkt folgend, begann sie tatsächlich zu laufen, stürzte auf die Tür zu, riss sie auf und floh wie ein gehetztes Tier in die Halle. Litchfield bekam sie zu fassen, noch bevor sie das Eingangsportal erreicht hatte. Er packte sie um die Taille und riss sie so heftig herum, dass sie unsanft an seiner Brust landete.
»Sie werden nirgendwohin gehen«, sagte er mit sanfter, tiefer Stimme, die ihr weit mehr Angst einjagte, als wenn er geschrien hätte. »Nicht bevor Sie mir die Wahrheit erzählt haben.« Sie konnte die kräftigen Muskeln an seinen Armen unter seinem gerüschten Hemd spüren, die Härte seiner Oberschenkel an ihrem Körper, und begann am ganzen Körper zu zittern. Tränen stiegen in ihre Augen, doch sie verdrängte sie mit einem Blinzeln.
Sie hob den Kopf und sah direkt in seine versteinerten, harten Züge. »Es tut mir Leid, dass ich Sie belogen habe. Heute Abend wollte ich verschwinden und morgen früh wäre ich ganz einfach fort gewesen. Lieber Gott, ich wollte niemals jemanden belügen - und ganz besonders nicht jemanden, der mir so viel Hilfe hat angedeihen lassen. Ich wollte Sie nicht in die Irre führen. Ich hatte einfach keine andere Wahl!«
Sein Mund verzog sich zu einem harten, freudlosen Lächeln.
»Doch nun haben Sie eine Wahl«, erwiderte er. Er gab sie aus seiner Umklammerung frei, hielt jedoch mit hartem Griff ihren Arm fest und zerrte sie durch die Halle in Richtung seines Arbeitszimmers. »Sie können mir entweder die Wahrheit erzählen, oder aber ich kann Sie den Behörden übergeben. Genau das ist Ihre Wahl, Miss Gray.«
Sie versuchte einen Augenblick lang verzweifelt, sich aus seinem Griff zu befreien, doch vergebens. Er ließ sie erst los, als sie wieder in sein Zimmer zurückgekehrt waren und er die Tür fest verschlossen hatte. Bevor er sich zu ihr umwandte, drehte er den Schlüssel im Schloss um.
»Nun, Miss Gray, wie haben Sie sich entschieden? Für die Wahrheit oder die Behörden?« Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust, was ihn noch eindrucksvoller und größer wirken ließ. »Seien Sie versichert, Miss Gray, ich bluffe nicht. Und glauben Sie ja nicht, dass ich nicht binnen Sekunden wüsste, ob Sie mir eine weitere Lügengeschichte auftischen.«
Kathryn starrte in das harte, entschlossene Gesicht und wurde plötzlich von einem Gefühl der Unterlegenheit überflutet. »O Gott.« Sie sank auf das braune Ledersofa, das unmittelbar vor ihm stand, und erneut begannen sich ihre Augen mit Tränen zu füllen. »Können Sie mich nicht einfach gehen lassen? Nach einer Weile werde ich genügend verdient haben, um Ihnen die Kosten für mein Essen zurückzuzahlen. Ich besitze leider keinerlei Kleidung, doch es findet sich sicherlich etwas Altes, das -«
»Hören Sie«, unterbrach der Marquis sie etwas sanfter. »Was immer Sie getan haben, ich kann nicht glauben, dass es tatsächlich so schrecklich ist. Wenn Sie etwas gestohlen haben, dann haben Sie jemanden verletzt. Sagen Sie es mir doch einfach, und wir werden eine Lösung finden.«
Doch sie konnte lediglich resigniert den Kopf schütteln.
»Ich muss es wissen, Kathryn. Erzählen Sie mir, was Sie getan haben.«
Kathryn sah zu Boden, ihre zitternden Hände im Schoß zu Fäusten geballt. »Ich habe nichts getan! Gar nichts - verstehen Sie mich?«
»Und warum laufen Sie dann weg?«
Sie biss auf ihre zitternde Unterlippe. Lieber Gott, sie wollte es ihm so gerne erzählen, sie wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass sie ihm vertrauen und ihm die Wahrheit sagen
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