Suendiger Hauch
Hauswirtschafterin bringen würde, anziehen und dem dunkelhaarigen Lord erneut gegenüberstehen. Doch bevor sie wieder hinunterging, würde sie ihre Lüge üben müssen, die sie sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte. Für den Augenblick jedoch, be-schloss sie, würde sie sich einzig dem warmen, schaumigen Wasser hingeben, einem Vergnügen, das ihr seit nahezu einem Jahr verwehrt geblieben war.
In seinem Arbeitszimmer lehnte sich Lucien Montaine, Marquis of Litchfield, hinter seinem ausladenden Schreibtisch aus Mahagoni auf seinem lederbezogenen Stuhl zurück. Er legte seine Fingerspitzen nachdenklich aneinander, während er im Geiste bei der Frau im oberen Stockwerk seines Hauses weilte, einer Frau, nun, eher einem Mädchen, das wohl kaum älter als zwanzig Jahre sein mochte. Obwohl sie schmutzig und zerzaust gewesen war, war ihm nicht entgangen, dass sie etwas ganz Besonders an sich hatte ... etwas Faszinierendes, um genau zu sein. Vielleicht lag es an der Art, wie sie sich bewegte: wie eine Frau edler Herkunft, nicht wie eine Bettlerin, auch wenn sie danach aussah.
Sie war größer und schlanker als die meisten anderen Frauen, mit dunklem, kastanienfarbenem Haar und kleinen, festen Brüsten, die ihr Nachthemd kaum hatte verbergen können. Zweifellos benutzte sie die Sprache einer Frau adliger Geburt, und er fragte sich, wo, zum Teufel, sie herkam.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken. Auf seine Aufforderung hin schob Preston Reeves, der Butler, das Mädchen in das Arbeitszimmer. Lucien hatte sich inzwischen erhoben und starrte ungläubig auf das Geschöpf vor ihm, das keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem vor Schmutz starrenden Mädchen in seinem Kutschkasten besaß.
Obwohl sie nur die einfache Kleidung der Dienstboten, eine weiße Bauernbluse und einen braunen Baumwollrock, trug, sah sie zweifellos wie eine Lady aus. Ihre aufrechte Haltung, die ihre perfekten Schultern betonte, und der Blick aus ihren kühlen, grünen Augen sagte mehr, als Worte es jemals vermocht hätten.
Sie war tatsächlich sehr hübsch, wie er erkannte, mit dunklen, perfekt geschwungenen Augenbrauen, feinen Gesichtszügen, einer geraden Nase und vollen, wunderschön geformten Lippen. Nun, da ihr Gesicht vom Schmutz befreit war, konnte er die Farbe ihres Teints als sahnig-honigfarben erkennen, mit einem leichten Anflug von Röte auf ihren Wangen.
»Sie hatten vielleicht Recht, Miss Gray Ihre Erscheinung hat sich inzwischen deutlich verbessert. Warum setzen Sie sich nicht und erzählen mir, was Ihnen zugestoßen ist?«
Sie folgte seiner Aufforderung und setzte sich aufrecht und mit gefalteten Händen auf den Stuhl ihm gegenüber. Er sah, dass ihre Hände zahlreiche tiefe Risse aufwiesen und rau waren, was einen seltsamen Kontrast zu ihrem restlichen femininen Äußeren bildete. Doch er schenkte diesem Gedanken keine weitere Beachtung und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf sie.
»Wie ich Ihnen bereits sagte, ist mein Name Kathryn Gray. Ich lebe in einem Dorf in der Nähe von Ripon, unweit von York. Mein Vater ist der Vikar der dortigen Gemeindekirche. Als ich entführt wurde, befand er sich gerade auf einem Besuch bei Freunden.«
»Entführt?« Lucien beugte sich interessiert ein Stück vor. »Sie behaupten also, jemand sei in Ihr Haus eingedrungen und habe Sie gezwungen, mitzukommen?«
Sie nickte zustimmend. »Genau so war es, Mylord. Aus diesem Grund trug ich nichts am Leib als mein Nachthemd. Ich weiß nicht, wer sie waren oder woher sie kamen und warum sie ausgerechnet mich mitgenommen haben. Doch sie hatten Schreckliches mit mir vor, so viel steht fest.«
»Das kann ich mir vorstellen. Und was genau wollten Sie Ihnen antun?«
Das Mädchen räusperte sich nervös, wich seinem Blick jedoch nicht aus. »Ich habe einen von ihnen sagen hören, dass sie mich in ein ... Haus von schlechtem Ruf bringen wollten. Natürlich konnte ich mir zuerst nicht vorstellen, was das bedeutete. Immerhin bin ich die Tochter eines Vikars. Doch nach einer Weile verstand ich, worüber sie sprachen. Mein Vater hatte häufiger in seinen Predigten von diesen schrecklichen Orten gesprochen, deshalb fand ich heraus, was sie vorhatten.«
»Ich verstehe.« Irgendetwas an dieser Geschichte erschien ihm merkwürdig, doch gleichzeitig war er fasziniert von der kontrollierten, kühlen Art, in der sie sie vorgebracht hatte, und von der unmissverständlichen Verzweiflung, die aus ihren Worten klang. In Anbetracht der Umstände und unter der
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