Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
gemeinten Rat zu erteilen, und sie hatte zweifellos in der Vergangenheit ein paar schreckliche Erfahrungen gemacht, die sie dazu trieben. Emma spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Aber nichts konnte etwas an den Fakten ändern. Emma musste bleiben und dieses Spiel bis zum bitteren Ende mitspielen. Das Leben des Schnitters hing davon ab. Und wer konnte schon wissen, wie viele Leben von seinem abhingen? Emma sagte zu Aimée: »Mylady, ich danke Euch für Euren Rat und den Mut, den Ihr mir zusprecht. Ich glaube Euch. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesem Schicksal zu entkommen. Aber im Moment zwingen mich die Umstände, zu bleiben.«
»Braucht Ihr Geld?«, fragte Aimée drängend. »Ich kann Euch Geld geben, damit Ihr nach England zurückkehren könnt.«
»Das ist es nicht.« Emma schaute zu Lady Fanchere, die noch immer in ihr angeregtes Gespräch mit der Modistin vertieft war.
»Ach, natürlich.« Aimées Augen füllten sich mit Tränen. »Ihr bleibt wegen meiner lieben Eleonore. Sie hat Euch von ihrer früheren Unfruchtbarkeit und ihrer Angst erzählt, dieses Kind nicht austragen zu können. Und Ihr fühlt Euch jetzt für ihr Wohl verantwortlich. Ihr seid so eine gute Frau!«
Was konnte Emma darauf erwidern? Nein, das ist es nicht? Denn das war nur zum Teil der Grund. Es ging ihr auch um den Schnitter und um Damacia und Elixabete … Und nachdem sie als Tochter eines Pfarrers und anschließend als unterdrückte Gesellschaftsdame bisher ein passives Leben gelebt hatte, war das hier endlich Emmas Chance, ein leidenschaftliches und erfülltes Leben zu führen!
Letztlich sagte sie nichts davon, sondern versuchte einfach, brav und besorgt dreinzuschauen. Sie schien damit Erfolg zu haben, denn Aimée seufzte und betupfte ihre Augen mit einem Taschentuch.
Als Lady Fanchere rief: »Emma, kommt doch einmal. Madam Mercier ist jetzt so weit, dass Ihr die ersten Kleider anprobieren könnt«, wollte Emma am liebsten vor Schuldbewusstsein sterben.
Während sie mit Lady Fanchere sprach und Madam Merciers Vorschlägen lauschte, schlug ihr Herz hart in der Brust. Denn alles, woran sie denken konnte, war die eine Frage.
Ob er sie heute Nacht wieder besuchte?
19
Emma saß in ihrem Bett und hatte sich Kissen in den Rücken gestopft. Das Buch lag offen in ihrem Schoß.
Alles war so wie in der letzten Nacht. Ihr Nachthemd war weiß, sauber und abgetragen, und sie hatte es wieder bis zum Hals zugeknöpft. Ihre Haare waren zu einem Zopf geflochten und sorgfältig über eine Schulter drapiert. Wie schon am vorangegangenen Abend grollte in der Ferne Donner und kam langsam näher. Ein erster Lufthauch wehte durch das offene Fenster als Vorbote des Sturms.
Aber Emma las nicht. Sie lauschte. Lauschte, ob sie die Schritte eines Mannes auf dem Gang hörte.
Das Hotel war still. Alle schliefen.
Sie sollte sich lieber nicht wünschen, dass er kam. Sie hatte sich heute absolut dumm verhalten. Es war eins, wenn man glaubte, dem Mann etwas schuldig zu sein, der einen vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
Letzte Nacht hatte sie ihm diese Schuld zurückgezahlt.
Aber warum hatte sie so interessiert zugehört, als Fürst Sandre ihr seinen Plan darlegte, wie er den Schnitter gefangen nehmen wollte? Warum hatte sie sich so verzweifelt gewünscht, einen Weg zu finden, ihm von der Falle zu berichten?
Sie konnte sich ruhig einreden, dass es so war, weil sie von den Zuständen in der Unterstadt entsetzt war und helfen wollte. Das stimmte schließlich auch. Aber ihre angespannte Erwartung bewies ihr an diesem Abend, dass es noch etwas anderes gab, das sie antrieb.
Sie wollte den Schnitter wiedersehen. Sie wollte, dass er ihr dankbar war. Sie wollte, dass er Fürst Sandre entkam, damit er in ihre Arme zurückkehren konnte und sie so küsste, wie er sie letzte Nacht geküsst hatte. Denn letzte Nacht hatte sie eine ganz neue, unerwartete Facette ihrer eigenen Persönlichkeit kennengelernt. Sie war oberflächlich und ließ sich leicht von einer Leidenschaft hinwegfegen – sie, die Tochter eines Pfarrers!
Sie lachte leise.
Die Kerze flackerte im Luftzug.
Emma schaute die Kerze an. Dann sah sie ihn – eine reglose Gestalt, gekleidet in ein Leichentuch. Er stand im Schatten und wartete.
Sie hätte darauf vorbereitet sein müssen, ihn wiederzusehen, doch sie schnappte überrascht nach Luft. Zuckte zusammen. Schrie leise. »Du bist es.« Sie legte die Hand auf ihr hämmerndes Herz und wiederholte: »Du bist es. Du hast mir Angst
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