Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
ihren Röcken geküsst. Keine halbe Stunde später hatte er mit ihr im Ballsaal geplaudert und so getan, als sei nichts dergleichen wirklich passiert. Er hatte so getan, als sei er nicht in der Nacht zuvor in ihrem Schlafgemach gewesen und in allen anderen Nächten davor auch. Er hatte so getan, als habe er sie nicht davon überzeugt, ihn zu verführen, damit er sie liebte. Er hatte sie nächtelang aus Sorge um ihn wach gehalten.
Sie war so wütend auf ihn! Ja, sie zitterte förmlich vor Wut. Es war bestimmt nicht allein die Sorge, dass er an dieser erbärmlichen, kleinen Verwundung sterben könnte. Die Kugel hatte ein Stück vom Muskel aus seiner Schulter gerissen. Sein Arm war schlaff, und er konnte an der Infektion sterben, die sie schon auf ihn zukommen sah.
»Wie hast du das angestellt?«
»Meinst du heute Abend oder …?«
»Ich meine das alles. Dein Kostüm, dein Pferd, die Freiheit, nachts zu reiten, obwohl du doch eigentlich weggeschlossen oder unter Bewachung stehst?«
»Rubio ist phänomenal, wenn es um Kleider und Stoffe geht. Als ich in den Kerker gesperrt wurde, haben meine moricadischen Freunde Old Nelson für mich gerettet.«
»Und Old Nelson ist …«
»Mein Pferd. Es gibt einen Stall in der Höhle unterhalb des Witwensitzes.« Seine Stimme wurde schwächer, das Kratzen schlimmer.
»Du hattest also alles, was es brauchte, um der Schnitter zu werden. Außer deiner Freiheit. Aber lass mich raten: Fancheres Wachleute sind Moricadier, und sie sind nicht besonders erpicht darauf, den Schnitter zu fangen.« Das war eigentlich nicht geraten. Brimley hatte sie von Anfang an gewarnt, dass die Moricadier aufsässiger waren, als auf den ersten Blick ersichtlich war. Sie erlaubten Michael natürlich, über das Land zu reiten, wenn er damit das Vermögen und den Ruf der de Guignards untergrub. Sie wollten, dass er ritt. »Fanchere ist Moricadier. Ist er auch Teil dieser Intrige?«
»Vielleicht.« Michael nickte nachdenklich. »Wir haben nie darüber gesprochen. Und wenn er Teil der Sache ist, dann wohl vor allem, weil er auf einem Auge blind ist und nicht, weil er uns aktiv unterstützt.«
Emma neigte den Kopf.
»Sei nicht wütend auf mich«, flüsterte Michael. »Ich weiß, was du darüber denkst, was ich dir angetan habe. Aber du weißt nicht alles.«
»Du hast absolut keine Ahnung, was ich denke.« Sie widmete sich wieder ihrer Aufgabe und zupfte mit einer Pinzette winzige Fäden seines schwarzen Umhangs und des weißen Leichentuchs aus dem zerfleischten, blutenden Muskel.
Er antwortete nicht mehr. Er hatte das Bewusstsein verloren.
Gut. So spürte er wenigstens nicht den Schmerz. Warum ihr das wichtig war, wusste sie allerdings nicht.
Sie fuhr mit der Hand an seinem Arm nach unten. Er fühlte sich kalt und leblos an. Die Kugel hatte etwas Schreckliches getan: Sie hatte die Nerven zerfetzt oder eine Arterie getroffen – sie wusste nicht, was genau es war, und obwohl sie so wütend und schlecht auf ihn zu sprechen war, wollte sie auf keinen Fall seinen Arm amputieren müssen.
Sie blickte auf, als Rubio endlich durch die Tür kam und sich zu ihr gesellte.
Wenn Durant bei Bewusstsein gewesen wäre, hätte sie Rubio zu sich gebeten, damit er seinem Herrn erzählte, was es hieß, mit einer Amputation leben zu müssen. Nur um ihm Angst einzujagen. Nur damit er wusste, wie nahe ihm Tod und Verstümmelung waren.
Rubio kam zum Bett. »Wie geht es ihm?«
»Es geht ihm so weit ganz gut.« Sie arbeitete weiter konzentriert daran, die Fetzen seines Kostüms aus der Schulter zu ziehen.
»Warum weint Ihr dann?«
»Ich weine doch gar nicht.« Sie wischte sich die Tränen erst mit der einen Schulter, dann mit der anderen von den Wangen. »Auf dem Tisch liegt eine Liste. Sie ist wohl wichtig. Ihr sollt sie Raul Lawrence aushändigen.«
Er ging zum Tisch und schaute auf die Liste, ehe er sie faltete und in die Tasche steckte.
»Was hat er sich nur dabei gedacht?«, brach es plötzlich aus ihr hervor.
»Ihr meint, weil er nachts geritten ist? Als der Schnitter?« Rubio grinste und zeigte ihr zwei angeschlagene Zähne. »Das musste er. Als er im Kerker war, plante er bereits, wie er das Regime der de Guignards untergraben könnte. Und Gott sei Dank funktioniert sein Plan.«
Als sie über die Gefahr nachdachte, in die Durant sich damit gebracht hatte und darüber, wie er seine Verkleidung benutzt hatte, um sie zu verführen … »Was hat er denn gedacht, was er damit erreichen könnte?«
»Er will Sandre
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