Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
zerstören.«
»Indem er sich wie ein Geist verkleidete?« Sie legte all ihre Verachtung in die Stimme.
»Indem er Informationen an den neuen König liefert. Er will, dass die Gäste des Landes in Scharen fliehen und Sandres Einkommen schwindet. Er will das Gerücht streuen, dass die Rückkehr des Königs bevorsteht. Er will kämpfen, wenn es sein muss, und töten, um sich zu rächen.«
Sie schaute Rubio an, dann widmete sie sich wieder ihrer Arbeit an Durants Wunde. »Zieht ihm die nasse Hose aus«, befahl sie. Weil Rubio zögerte, warf sie ihm einen brennenden Blick zu. »Ich habe das alles schon gesehen, und ich fürchte, er hat sich unterkühlt. Zieht ihm die Hose aus und wickelt ihn in warme Decken.« Ohne ihn anzusehen, begann sie, den Schal um Michaels Hals abzuwickeln.
Rubio schälte Durant aus seiner Hose und deckte ihn zu. Er schaute sie an und bemerkte, wie sie Durants Kehle anstarrte. »Als er aus dem Kerker kam, konnte er überhaupt nicht sprechen«, sagte Rubio leise.
Er konnte nicht sprechen? Sie war sprachlos.
Die Narben um Durants Hals sahen so aus, als habe jemand eine Kette um seinen Hals gelegt und ihn hinter einem Pferd hergezogen. Die Haut war rot, vernarbt und über seinem Adamsapfel regelrecht zerfetzt. Die Verformungen reichten von seinem Kiefer bis zum Schlüsselbein. Die Wunde war kaum verheilt. Es würde niemals heilen. »Woher hat er das?«
»Die de Guignards lieben es, ihre Opfer aufzuhängen.«
»Davon habe ich bereits gehört.« Heute Abend, um genau zu sein. Der Fürst hatte es ihr stolz erzählt.
»Und es stimmt. Sie lieben es, ein Seil um den Hals eines Mannes zu legen, ihn hochzuziehen und am Seil zappeln zu lassen, während er um sich tritt und langsam erstickt. Der Mann greift dann verzweifelt nach seinem Hals, während der Tod so langsam auf in zugekrochen kommt, dass er die letzten Herzschläge mitzählen kann.«
»Sie haben Michael gehängt? Aber was hat ihn gerettet?«
Rubio lachte rau. »Ihr Wunsch, ihn erneut zu hängen. Wenn man einen Mann fünfzehn Minuten so hängen lässt, kann man ihn vom Strick schneiden, damit er sich erholt. Dann fängt man von vorne an und genießt seinen Todeskampf noch viel mehr. Es ist eine brutale Methode, vor allem, wenn man weiß, dass das Opfer mit dem Gelächter der Täter in den Ohren sterben soll.«
Sie schaute auf seinen Hals und sah ähnliche Narben, die über dem steifen Kragen seines Hemds aufblitzten.
»Ich war ein Niemand. Es war ihnen sogar egal, ob sie mich verstümmelten. Also haben sie mich gehängt und vom Seil geschnitten, als es ihnen langweilig wurde. Danach kam die Streckbank. Bei ihm«, Rubio nickte zu Durant herüber, »war es anders. Sie kümmerten sich um ihn. Weil seine Familie Geld und Einfluss hat. Weil er sich nicht brechen ließ. Weil er ihnen viel Spaß bereitete. Und weil sie glaubten, dass er mehr wusste, als er zuzugeben bereit war.«
»Und? Weiß er mehr?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn er mehr weiß, hat er die Angst und den Schmerz überwunden, um sein Geheimnis zu bewahren.« Er klang, als bewunderte er Michael dafür.
Natürlich. Er war ein einfacher Mann, der aussprach, was er dachte.
Und sie war eine Frau, die verraten worden war.
Sie widmete sich wieder Michaels Wunde. »Holt gewärmte Sandsäcke. Wir müssen seinen Arm darin einpacken, um den Blutfluss wieder in Gang zu bringen.«
»Ich kümmere mich darum.« Sie hörte die Absätze von Rubios Stiefeln auf den Steinfliesen. Tock. Tock. Tock. Tock. Er blieb stehen. »Jemand muss das Kostüm des Schnitters anziehen und nachts reiten, solange er verletzt ist.«
»Dann finde jemanden, der das übernimmt.«
»Das kann kein Moricadier machen. Die Moricadier waren einst die besten Reiter der Welt. Aber heutzutage kann keiner von ihnen sich ein Pferd leisten. Und wenn einer von ihnen dabei erwischt wird, hängt Sandre ihn siebenmal, ehe er endlich sterben darf.«
»Dann wird wohl die Rolle des Schnitters bis auf weiteres nicht besetzt sein.« Sie konzentrierte sich ganz auf ihre Aufgabe.
»Der Schnitter hat das Einkommen des Fürsten dezimiert, indem er die Vergnügungssüchtigen vertrieben hat. Und der Schnitter hat bei den Bürgern Hoffnung geweckt. Sie glauben, sein Erscheinen sei tatsächlich der Vorbote für die Rückkehr des rechtmäßigen Königs. Das Beste aber ist, dass der Schnitter den Fürsten wie einen Narren dastehen lässt.« Rubio lachte heiser. »Er hat Sandre zum Gespött der Leute gemacht. Der Schnitter vollbringt
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