Süß ist die Angst
unsere richtige Tochter ist.« Mrs. Rawlings beugte sich vor und senkte die Stimme. »Wir haben sie im Alter von vier Jahren adoptiert. Das Sozialamt hatte sie einer drogensüchtigen Prostituierten abgenommen.«
Der weißglühende Zorn stieg so unerwartet heftig in ihm auf, dass Marc schwindelig wurde. Er hatte größte Mühe, seine ausdruckslose Miene und seine neutrale Stimme beizubehalten.
»Laut ihrer Akte war Megans Mutter Alkoholikerin und drogensüchtig, aber keine Prostituierte.«
Mrs. Rawlings machte eine wegwerfende Geste.
»Sie hatte zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern, war aber nie verheiratet. Vielleicht nennt man es heute nicht mehr so, aber eine solche Frau ist promiskuitiv.«
»Sie war als Mutter gänzlich ungeeignet«, stimmte Mr. Rawlings mit einem Nicken zu.
»Wir haben bei Megan unser Bestes gegeben. Bei uns hatte sie keine Armut zu erleiden, hatte ein Zuhause, lernte eine feste Hand und den wahren Glauben kennen, doch sie wies alles zurück. Wie oft habe ich sie gewarnt, dass sie eines Tages wie ihre Mutter enden würde, und ich hatte recht. Auch sie hat den Pfad der Sünde eingeschlagen.«
Vielleicht wollte sie nur Liebe, du kaltes Biest. Ihre wahre Mutter hat sie wenigstens geliebt.
Marc musste den Blick senken, denn er wusste, dass seine Wut in seinen Augen zu lesen war. Er sah, dass er den Kugelschreiber so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Mit einiger Willensanstrengung gelang es ihm, die Finger zu lockern.
»Das muss sehr enttäuschend gewesen sein.«
Beide nickten.
»Vielleicht wäre alles anders gewesen, wenn wir sie früher adoptiert hätten«, fuhr Mr. Rawlings fort. »So aber hat sie nie anerkannt, was wir für sie getan haben. Mit vierzehn lief sie weg und wurde wegen Ladendiebstahls festgenommen. Aber sogar in der Jugendhaft geriet sie in Schwierigkeiten.«
Marc richtete seinen Blick auf Mr. Rawlings.
»Ich habe gehört, dass sie vergewaltigt wurde.«
Dem sichtbaren Unbehagen der beiden entnahm Marc, dass sie das auch bereits gehört hatten.
Mrs. Rawlings räusperte sich. Sie war eindeutig peinlich berührt.
»Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, Detective, aber Megan ist nicht vergewaltigt worden. Sie und einige andere weibliche Häftlinge haben sich mit ihren Körpern Gefallen von den Strafvollzugsbeamten erkauft und es dann auf die Männer geschoben. Das war das Ergebnis der Ermittlungen, die sehr gründlich durchgeführt worden sind.«
Marcs Puls nahm erneut an Tempo zu. In seine Empörung mischte sich Neugier. Er hatte nicht gewusst, dass es noch andere Opfer gegeben hatte. Oder eine offizielle Ermittlung.
»Haben Sie einen Bericht über diese Ermittlungen?«
Mr. und Mrs. Rawlings tauschten einen verwirrten Blick aus, und Marc begriff, dass seine Frage seltsam erscheinen musste. Er war ein Cop, eigentlich musste er alles, was zu diesem Fall gehörte, beisammenhaben. »Natürlich kann ich mir die Unterlagen selbst im Archiv zusammensuchen, aber so etwas kostet meistens Zeit und Mühe. Wenn Sie also irgendwo eine Kopie haben, würde mir das eine Menge Arbeit ersparen. Und schließlich geht es hier nicht nur um Megan, sondern auch um Emily. Ein unschuldiges, sieben Monate altes Baby. Ihre Enkelin.«
Mrs. Rawlings rümpfte die Nase.
»Sie ist nicht unsere Enkelin. Wir wussten nicht einmal von ihr, bis diese Reporterin herkam und versuchte, uns für ihre schrecklichen Zeitungsartikel zu interviewen.«
Mr. Rawlings überlegte einen Moment.
»Ich weiß nicht genau, was ich mit dem Bericht gemacht habe. Es kann sein, dass ich ihn behalten habe, aber es ist auch möglich, dass ich ihn mit ihren anderen Sachen weggeworfen habe.«
Sie hatten sie aus ihrem Leben verbannt.
Marc stand auf. Er wusste, wann es Zeit war zu gehen. Wenn er noch länger in der Gegenwart dieser beiden Leute blieb, beging er vielleicht noch eine Dummheit.
»Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, und bitte verzeihen Sie, falls meine Fragen alte Wunden aufgerissen haben. Ich finde selbst hinaus.«
Aber mochte Mrs. Rawlings auch Wärme oder Mütterlichkeit fehlen, sie wusste, was sich gehörte.
»Unsinn. Wir bringen Sie zur Tür.«
Marc folgte ihnen und nahm sich die Zeit, sich die Alarmanlage des Hauses anzusehen, eine schlichte Konstruktion, deren Kontrollkasten im Flur angebracht war. Billig und leicht außer Kraft zu setzen, falls er noch einmal zurückkehren musste. »Noch einmal danke«, sagte er, als sie an der
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