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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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eingesetzt haben, und sie wussten weite Kreise der Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Sie haben sich gegen den Antisemitismus durchgesetzt und die Rehabilitierung des Hauptmanns sowie die Bestrafung einiger Männer erreicht, die sich gegen ihn zusammengetan hatten. Wo gibt es so etwas in der Geschichte? Zwar ist der Judenhass noch lange nicht aus der Welt geschafft, doch gerade die schreckliche Dreyfus-Affäre hat unser Ansehen letztlich gehoben.«

3
    H EIDELBERG
— Herbst/Winter 1912 —
    Ludwigs Abitur war am Ende nur reine Formsache. Die schriftlichen Prüfungen bestand er mühelos, die mündlichen waren »das reinste Vergnügen«, wie Dr.Stegemann ihm herzlich versicherte. Mitte September bezog er ein Zimmer in Heidelberg, kaum zweihundert Meter entfernt von der Juristischen Fakultät. Einer Verbindung schloss er sich nicht an, behielt sich aber vor, dies später nachzuholen. Zumindest die »Bavaria« im Kartell-Convent der jüdischen Studenten stand ihm ja offen. Er war sich aber nicht sicher, ob ihm ein Schmiss wirklich stehen würde, und den Namen »Bavaria« fand er ziemlich exotisch. Dass sich in der Gaststätte »Goldenes Fässchen« noch regelmäßig eine zweite Verbindung namens »Ivria« traf, die scharfe Mensuren schlug, im Übrigen aber davon träumte, in Palästina Orangenbäumchen zu pflanzen, erfuhr Ludwig gar nicht erst. Es wäre ihm vollends verrückt erschienen.
    Stattdessen bemühte er sich, die große alte Universität mit ihren über die ganze Stadt verteilten Gebäuden kennenzulernen, und stieß dabei auch auf das berühmte Studentengefängnis, den Karzer. Dieses Gefängnis war tatsächlich noch in Benutzung, so hieß es. Die Haftstrafen waren aber nie lang und die Lebensbedingungen weitaus besser als in einem normalen Gefängnis. Die geräumigen Zellen waren nicht durch Wände, sondern durch Gitter getrennt, durch die man sich sehen und sogar unterhalten konnte. Abgesehen von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit war die Karzerstrafe für die Studenten eigentlich mehr ein Jux. Sie sangen, bemalten die Wände, schrieben witzige Inschriften und verfassten gemeinsam Gedichte oder Theaterstücke.
    Ab und zu durften organisierte Gruppen den Karzer besuchen. Nach einigen Wochen Wartezeit erhielt Ludwig die Erlaubnis, sich einer solchen Gruppe anzuschließen. Die Besucher wurden von den Karzerinsassen mit lautem Jubel begrüßt. Sie überreichten den Inhaftierten Geschenke, Esswaren und Getränke durchs Gitter und unterhielten sich prächtig.
    Plötzlich hörte Ludwig aus einer der Zellen eine weibliche Stimme: »He, du mit dem Babygesicht, kennen wir uns nicht? Warst du nicht auf dem Lessing-Gymnasium in Frankfurt?«
    Ludwig ging zögernd hinüber. Ein Blick genügte: Es war Gudrun, das große, üppige Mädchen, das er ein ganzes Jahr angeschwärmt hatte.
    Es war nämlich keineswegs so gewesen, dass Ludwigs Wunsch, ein hervorragender Schüler zu sein, ihn gänzlich hätte übersehen lassen, dass es ein sogenanntes »schönes Geschlecht« gab. Ganz im Gegenteil. Manchmal konnte er sich im Unterricht kaum noch auf den Stoff konzentrieren. Immer wieder wanderten seine Gedanken und Fantasien zu den Schülerinnen der benachbarten Mädchenschule hinüber.
    Ludwig traute sich zwar nur ganz selten einmal in die Nähe des hohen Staketenzauns, der die beiden Schulhöfe trennte. Doch aus der Ferne verfolgte er fasziniert, was in den Pausen dort vorging. Die Schüler und Schülerinnen, die sich am Gitter herumtrieben, wechselten provozierende Scherze und Zurufe und hatten offensichtlich viel Spaß. Er beneidete insgeheim einige seiner Freunde, die »Erfolg« bei den Mädchen hatten, was immer das sein mochte. Sogar der dicke Müller, der seit dem Ereignis am Sedantag Ludwigs ärgster Widersacher in der Klasse geworden war, hatte sich dabei hervorgetan. Manches, was die Jungen den Mädchen durchs Gitter zuriefen, wäre Ludwig nie im Leben über die Lippen gekommen – er hätte weder die Idee noch den Mut dazu gehabt.
    Eins der Mädchen fiel ihm besonders auf. Sie war größer als die anderen und hatte einen ausgeprägten Busen. Ihr Name warGudrun. Sie war äußerst selbstbewusst und genoss es, die Jungen zu necken. Wenn sie in der Nähe des Zauns war, war er nicht der einzige Junge, der sehnsüchtig hinschaute.
    Einmal kam sie nahe an die Stelle, wo Ludwig stand, und rief: »Hallo! Schau nicht so blöd! Hast so etwas wohl noch nie gesehen, was?« Sie legte die Hände unter ihre Brüste und hob sie leicht

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