Suess und ehrenvoll
hinausgegangen war, um einen ersten Blick auf das Gelände zu werfen, gesellte sich wieder zu den Offizieren. »Herr Leutnant«, sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung zu Louis, »ich hatte befürchtet, Kreideboden vorzufinden, doch zum Glück haben wir es mit tonigem Boden zu tun, der fester ist und bei der Detonation nicht so leicht zerfällt.«
»Aber wollen wir nicht gerade, dass den Deutschen der Boden unter den Füßen zusammenbricht?«, fragte Louis.
»Dafür werden wir schon sorgen. Die Hauptsache ist, dass die Erde nicht über uns einbricht, weder beim Graben des Tunnels noch auf dem Rückweg nach dem Anbringen der Sprengladung. Wenn eine Handgranate explodiert, die ein Soldat bei sich trägt, könnte bei ungünstigen Bodenverhältnissen die Decke einstürzen und uns alle unter sich begraben.«
»Dann steht dem Unternehmen ja nichts mehr im Wege«, sagte Louis.
Aber es lief keineswegs so reibungslos, wie sie gehofft hatten. Zwar ging die Arbeit dank modernstem Gerät gut voran. Doch sie durften keinen Lärm machen, damit der Feind das Vorhaben nicht entdeckte. Ein weiteres Problem war, in dem unbekannten Terrain einen Stollen zu graben, der exakt in der vorgeschriebenen Richtung verlief. Die Befürchtung, von der Route abzuweichen, lähmte den Elan der Bergleute. Als der Feldwebel meldete, dass der zentrale Abschnitt des Stollens fertiggestellt war, beschloss Louis, den Bau des letzten Abschnitts und die Anbringung der Sprengladung selbst zu beaufsichtigen.
Er hatte keine Vorstellung davon, was ihm bevorstand. Der Stollen war viel enger und niedriger, als er vermutet hatte. Er musste auf allen vieren kriechen. Es gab kaum genug Platz, um sich in den seltenen Ruhepausen hinzusetzen. Die Sauerstoffmasken, die von einigen Bergleuten über einen Schlauch mit Sauerstoff beschickt wurden, ermöglichten zwar das Atmen, waren aber alles andere als bequem. Louis fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen, wenn die Sauerstoffversorgung plötzlich aussetzte. Von Meter zu Meter wurde ihm banger zumute. Ab und zu fielen Erdbrocken und Steine von der Decke. Er musste daran denken, wie der Feldwebel die Vorzüge der tonigen Erde gelobt hatte. Anscheinend war sie doch nicht so fest und stabil, wie er behauptet hatte. Der Stollen wurde in aller Eile gegraben und entsprach nicht den Sicherheitsvorschriften, die in zivilen Bergwerken zur Anwendung kamen. ›Was ist, wenn der Stollen einbricht und ich trotzdem am Leben bleibe?‹, fragte sich Louis. ›Wie komme ich dann wieder raus?‹
Die Grubenlampen verbreiteten nur wenig Licht, und die Finsternis war nicht dazu angetan, Louis’ Stimmung zu heben. Er konnte nicht mit den Bergleuten reden, weil der Schlauch ihn beim Atmen behinderte. Sie durften ohnehin nur flüstern, damit der Feind sie nicht hören konnte. Louis sah nichts anderes als die Schuhsohlen des Feldwebels, der die Gruppe anführte. Er wusste, dass der Kumpel, der hinter ihm kroch, unddie zehn anderen, die ihm in dichter Reihe folgten, auch nur die Schuhe des Vordermanns sahen. ›Wenn mir plötzlich schlecht wird, was mache ich dann?‹, dachte Louis. ›Oder wenn ich in Ohnmacht falle?‹ Es gab keinen Ausweg, weder vorwärts noch rückwärts. Ebenso schwierig würde die Lage, wenn einer der anderen Männer das Bewusstsein verlor oder sein Sauerstoffschlauch nicht mehr funktionierte. Dann würden sie alle feststecken, weil er den Weg versperrte. Louis hatte das Gefühl, vor Angst und Atemnot zu ersticken.
Das Ziel der Gruppe war der Punkt, den die Grabung am Vortag erreicht hatte. Dort erweiterten die Bergleute den Stollen auf einer Länge von mehreren Metern und erhöhten die Decke. An dieser Stelle würde Louis die Sprengladung vorbereiten. Dann sollten die Männer einen noch schmaleren Stollen bis zu dem vermuteten Schwachpunkt der deutschen Befestigungen graben, dort den Sprengstoff deponieren, wie eine Ameisenkolonne rückwärtskrabbeln und sich an Louis vorbei zu den französischen Stellungen zurückziehen. Schließlich sollte Louis die Zündschnur anzünden und so schnell wie möglich durch den inzwischen geräumten Stollen zum Ausgang kriechen.
Während die Bergleute den letzten Teil des Stollens gruben, bereitete Louis die Sprengladung vor und schloss sie an die Zündschnur an. Plötzlich hörte er ein Hämmern, das nicht von den eigenen Leuten kommen konnte. Im ersten Moment war er wie gelähmt. Dann stieß er den letzten Bergmann in der Reihe an und befahl ihm flüsternd, den anderen zu
Weitere Kostenlose Bücher