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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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besuchten sie nicht. Ludwig protestierte zwar, da er es als grob unhöflich empfand, sie nicht wenigstens zu begrüßen. Aber Karoline wollte ihm die bittere Erkenntnis ersparen, dass die Einstellung ihrer Eltern zu Ludwig sich seit seinem letzten Besuch in Frankfurt noch massiv verschlechtert hatte. Deshalb sagte sie nur, sie wolle keinen Augenblick ihres Zusammenseins mit Höflichkeitsbesuchen vergeuden, nachdem sein Urlaub so stark verkürzt worden sei. Die nächsten drei Tage und Nächte sollten nur ihnen gehören. Für andere Menschen gab es keinen Raum.
    Blitzurlaub, so nannte Karoline die wenigen Stunden, die ihnen vergönnt waren. Beide kämpften gegen die Niedergeschlagenheit an, um sich nicht auch noch die verbliebenen Tage zu verderben. Doch für nichts schien genug Zeit, vor allem nicht für die Liebe. Sie konnten sich nicht alles erzählen, was sie auf dem Herzen hatten. Zumal es ihnen schwerfiel, in so kurzer Zeit die Distanz zu überwinden, die durch die einjährige Trennung entstanden war. »Mir ist, als hätte ich Asche im Mund«, sagte Ludwig eines Abends leise. »Das Herz schnürt sich mir zusammen, ich spüre ein Ziehen im Magen.«
    »Ich habe noch nie Asche geschmeckt«, sagte Karoline mit künstlicher Heiterkeit und verdächtig geröteten Augen, »aber ich habe genau dasselbe Gefühl.«
    Wenige Tage darauf zog Ludwig wieder in den Krieg, diesmal in östlicher Richtung. Nun wusste er, warum sein Urlaub so drastisch verkürzt worden war. Er musste sich seinem Bataillon anschließen, das von der Westfront in den Osten gesandt worden war. Die Russen hatten im Februar ihren Zaren gestürzt, aber die Regierung Kerenski schien unbedingt weiterkämpfen zu wollen und hatte sogar eine überraschende Offensive gestartet.Dabei war man allgemein davon ausgegangen, dass sich Russland nach dem Sturz des Zarenregimes endgültig aus dem Krieg zurückziehen würde. Als Ludwigs Bataillon Mitte Juli die Front erreichte, wurde die Kerenski-Offensive blutig zurückgeschlagen, und im Oktober übernahm ein gewisser Lenin mit der Parole »Brot und Frieden« die Macht.
    Zu Ludwigs Überraschung und Erleichterung waren die Bedingungen an der russischen Front sehr viel erträglicher als im Westen. In dem Bewegungskrieg, der hier geführt wurde, änderte sich der Frontverlauf ständig. In riesigen Umfassungsbewegungen wurden Gebiete von Hunderten Quadratkilometern erobert und bei Gegenangriffen wieder zurückgewonnen. In den langen Gefechtspausen kampierten die Truppen in Zeltlagern, die in meist noch bewohnten Dörfern aufgeschlagen wurden. Es gab kein endloses Vegetieren in der stinkenden Fäulnis ratten- und läuseverseuchter Gräben, die nur wenige Meter von den Stellungen des Feindes entfernt waren und ständig unter Artilleriefeuer lagen.
    »Ist das nicht ein Paradies?«, fragte Johann, den Ludwig nach langer Zeit an dieser Front wiedergetroffen hatte. Auch Adalbert, der in Verdun verwundet worden war, stieß zu ihnen. Man hatte sich viel zu erzählen, doch wie sich herausstellte, blieb wenig Zeit dafür, fanden sie sich doch bald im Schwung der österreichischen und deutschen Gegenangriffe wieder. Die ehemals russischen Teile Polens wie auch das Baltikum und Teile Weißrusslands und der Ukraine wurden erobert.
    Dann wieder herrschte wochenlang Ruhe. Ludwig und seine Kameraden bekamen manchmal einen halben oder gar einen ganzen Tag Urlaub. Zu Ludwigs Überraschung empfingen die Einwohner der kleinen Orte die Deutschen freundlich, ein himmelweiter Unterschied zur belgischen oder nordfranzösischen Bevölkerung. Dank Johann entdeckte Ludwig, dass hier erstaunlich viele Juden lebten, die ihre Ankunft begrüßten. In ihren Augen waren die Deutschen und Österreicher so etwaswie Befreier. Auch wenn Ernteerträge und andere Güter für den täglichen Truppenbedarf und Häuser oder Zimmer für die Offiziere beschlagnahmt wurden, galten die Deutschen und Österreicher im Gegensatz zum antisemitischen Regime des Zarenreiches als »anständig«.
    Als Ludwigs Bataillon sich in Nadwirna aufhielt, stellte Johann den Antrag, als Verbindungsmann zwischen dem Bataillonskommando und der jüdischen Gemeinde eingesetzt zu werden. In der Ortschaft lebten an die zwölftausend Menschen, darunter einige Hundert Juden.
    »Sieh dir an«, sagte Johann zu Ludwig, »wie die Leute hier leben. Das sind noch richtige Juden, anders als die Juden, die du in deiner Synagoge im Westend antriffst, wenn du alle Jubeljahre mal hingehst. Für dich und

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