Suess und ehrenvoll
begleiten, sondern in der Kommandantur bleiben, um die Meldungen auszuwerten und weiterzuleiten.
Der Herbst war ungewöhnlich sonnig und warm. Es war, als wollte der Sommer sich nicht verabschieden. Die Kastanienbäume warfen ihre Früchte nicht ab, die goldenen Blätter der Laubbäume trotzten den ersten herbstlichen Winden. In denWäldern roch es nach Harz, die Bäche sprudelten munter. In dieser pastoralen Stimmung würde Ludwig sich mit seinem Trupp auf Kundschaft begeben müssen. Sie brachen noch in der Nacht auf und hatten Befehl, bei Tagesanbruch zurückzukehren.
Liebste Karoline,
ich bin körperlich sehr erschöpft, und mir steht eine Aufgabe bevor, die mir Angst macht. Ob sie besonders gefährlich ist? Ich glaube nicht. Nach all den Gefahren, die ich in diesem Krieg überstanden habe, werde ich auch diesen Auftrag überleben. Er ist bestimmt weniger gefährlich als die bisherigen Kämpfe und Bombardements. Ich habe nur Angst vor der Ungewissheit darüber, was mir bevorsteht. Warum schreibe ich Dir das jetzt? Vielleicht rede ich nur mit mir selbst und versuche, mich zu beruhigen.
Ich habe Dir so viel zu sagen. So viel wichtigere und vor allem erfreulichere Dinge. Seit Du mir mitgeteilt hast, dass Du schwanger bist, empfinde ich ein tiefes inneres Glück. Sogar in den schwersten und gefährlichsten Momenten. Wenn ich an Deinen schwellenden Bauch denke, durchströmt mich eine Welle des Entzückens. Ich weiß nicht, was es heißt, Vater zu sein. Ich weiß nicht, was ein Baby ist. Kleine Kinder, mit denen man noch nicht sprechen kann, haben mir nie viel bedeutet. Ein Kind von mir? Das kann ich mir kaum vorstellen. Doch ein Kind von Dir, unser beider Kind, ein Kind, das uns in einer Weise verbindet, wie kein Ehering es vermag, das ist ein himmlischer Gedanke! Ein Gefühl, wie ich es mir nicht schöner vorstellen kann.
Die Krönung unserer Liebe. Oh Karoline, meine geliebte Karoline, die Liebe meines Lebens! Wie oft habe ich Dir schon gesagt, dass ich Dich immer und immer mehr liebe. Und doch ist es die Wahrheit! Ja, in jener Nacht vor dem Krieg, in Friedes Haus in Berlin, glaubte ich, den Gipfel der Liebe zu erleben. Ich war überzeugt, dass ich nie eine größere Liebe empfinden w ürde. Und doch wird sie immer stärker und fester. Erst recht, seitdem ich weiß, dass in Deinem Leib unsere gemeinsame Zukunft heranwächst. Jetzt weiß ich wirklich, dass ich das höchste Glück erreicht habe! Wie gern würde ich während der Schwangerschaft an Deiner Seite sein, Deinen dicken Bauch streicheln und küssen. Glaube nicht, was die Leute und vor allem Frauen Dir sagen – dass eine schwangere Frau keinen erotischen Reiz ausübt. Ich begehre Dich mehr denn je!
Die Probleme mit Deinen Eltern und sicher auch manche anderen Sorgen müssen Dich sehr belasten. Für Deinen Vater und Deine Mutter ist Deine Bitte, uns ihren Segen zu geben, gewiss ein schwerer Schock gewesen. Schwerer noch, als wir geglaubt hätten. Und nicht nur, dass Du mich heiraten willst, Du bekommst auch noch ein Kind von mir, und noch dazu unehelich! Sogar die Vorwürfe meines Vaters (ich bin sicher der einzige Soldat im gesamten Heer, der sich nur bedingt freut, wenn endlich die Post kommt, weil ein Brief meines Vaters dabei sein könnte) sind ein geringes Problem im Vergleich zum Zorn Deiner Familie. Von hier, von diesem verfluchten Loch aus kann ich Dir weder helfen noch raten. Wir werden das alles besprechen, wenn wir uns wiedersehen.
Es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern. Urlaub bekomme ich jetzt sicher nicht mehr, doch der Krieg wird bald aus sein, vielleicht schon in wenigen Wochen.
Ich möchte Dir noch einmal sagen, was ich seit Monaten in jedem meiner Briefe geschrieben habe: Nichts bewegt und rührt mich mehr als das, was Du für mich und für uns tust. Dass Du Dich für mich und unser Kind entschieden hast, ist der Höhepunkt eines Glücks, von dem ich niemals zu träumen wagte. Und obwohl unser beider Schicksal schon jetzt für immer verwoben ist, sollst Du wissen, dass ich Dir ewig dankbar bin für alles, was Du auf Dich genommen hast.
Mir wird gerade gemeldet, dass es Zeit zum Aufbruch ist. Wir sollen den Feind auskundschaften, der uns dauernd im N acken sitzt. Wie macht man das? Ich bin nie für einen solchen Auftrag ausgebildet worden, der viel Übung und besondere Fertigkeiten erfordert. Vielleicht werde ich es einfach machen wie die Indianer in den Karl-May-Romanen: Old Shatterhand und seine Freunde haben von den Indianern
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