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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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mir zu machen?«
    »Wie stellst du dir das vor?«, fragte sie. »Meine Eltern geben mir niemals Geld für solch einen Luxus. Solange ich studiere, liege ich ihnen sowieso schon auf der Tasche.«
    »Ich bekomme von meinen Eltern auch kein Geld für solche Dinge. Aber ich habe dir doch mal erzählt, dass ich auf diesem Hof in der Nähe von Niederrad Reiten gelernt habe. Ich habe die Ställe ausgemistet, die Pferde gestriegelt und sie auf die Koppel gebracht. Als Gegenleistung durfte ich immer ein paar Stunden umsonst reiten, wenn wenig Betrieb war. Die lassen bestimmt mit sich reden. Wir können mit der Straßenbahn rausfahren.«
    Karoline zögerte. »Ich bin schon so lange nicht mehr geritten. Mal sehen, ob die Eltern mich weglassen.« Am Bahnhof in Frankfurt nahmen sie eine Droschke. Karoline bis vor die Tür zu bringen, ließ er sich nicht nehmen. Vor dem großbürgerlichen Stadthaus im Westend verabschiedeten sie sich voneinander – das Treffen mit ihren Eltern musste noch warten.
    Gleich am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg nach Niederrad. Er konnte nur einen Teil des Weges mit der Straßenbahn fahren, die restliche Strecke musste er zu Fuß zurücklegen. Er hätte sich die Mühe sparen und anrufen können, denn nicht nur die Reitschule war seit Kurzem an das neue Telefonnetz angeschlossen, auch in Ludwigs Elternhaus war jetzt ein Fernsprechgerät installiert. Man brauchte nur den Hörer im Flur abzunehmen, ihn ans Ohr zu halten und zu warten, bis die städtische Telefonzentrale sich meldete. Aber ein solches Gespräch hätte er vor seinen Eltern nicht verbergen können, und sie hätten sich gewiss dafür interessiert, wer denn die junge Dame war, mit der er so dringend ausreiten wollte.
    Am Ende gelang dann alles vortrefflich. Am letzten Junisonntag fuhr Ludwig mit Karoline hinaus. Die Pferde standen bereit. Er hatte für Karoline eine Stute gewählt, die als ruhig und zahm galt. Dagegen war Ludwig alles andere als ruhig, er redete ununterbrochen. Er hielt ihr Vorträge über Pferde und ihren Charakter, über Pferdepflege und Reitkunst. Als sie nach einem Ritt von anderthalb Stunden aus dem Stadtwald zurückkamen und Ludwig immer noch weiterschwatzte, wurde es Karoline schließlich zu viel. Kaum waren sie von den Pferden herunter und wieder allein, fasste sie ihn am Hinterkopf, zog ihn zu sich herunter und verschloss ihm mit ihren geröteten Lippen den Mund. »Sonst hörst du ja nie auf!«, sagte sie.
    Am nächsten Morgen, dem 29. Juni, wurden Extrablätter in Frankfurt verkauft: D ER ÖSTERREICHISCHE T HRONFOLGER UND SEINE G ATTIN ERMORDET!
    Das Attentat, das Österreich-Ungarn, den Bundesgenossen des deutschen Kaiserreichs, erschütterte, bekümmerte Ludwig nicht übermäßig. So sensationell der Anschlag auf den ersten Blick war, er schien nichts mit seinem Leben oder dem Alltag der Deutschen zu tun zu haben. So etwas gab es auf dem Balkan ja nicht gerade selten. Die Völker dort stritten sich ständig. Diesmal hatten sie zwar erstmals das große Habsburgerreich provoziert, doch keiner konnte sich vorstellen, dass das Attentat über den Balkan hinaus wirken würde.
    Dennoch waren die folgenden Tage nicht mehr so unbeschwert glücklich. Ludwig brachte immer noch nicht den Mut auf, Karoline einen Heiratsantrag zu machen. Wie konnte er das wagen, wenn er ihr noch nicht einmal seine Liebe erklärt hatte? Mit seinen Eltern darüber zu reden, traute er sich erst recht nicht, geschweige denn mit den Schulzendorfs. Was würden seine Eltern davon halten, dass er ein christliches Mädchen zur Frau nehmen wollte? Und was würden ihre Eltern sagen, wenn sie einen Juden heiraten wollte (falls sie überhaupt dazu bereit wäre)?
    Und dann war plötzlich alles in weite Ferne gerückt: Studium, Liebe, Karriere. Es sollte Krieg geben! In solchen Zeiten war ans Heiraten nicht zu denken. War das ein Grund zur Trauer oder gar Verzweiflung? Keineswegs. Welche Ehre würde es für Ludwig sein, in diesen Krieg ziehen zu dürfen! Im Hause Kronheim herrschte freudige Aufregung. Auch seine Mutter, die wie andere Mütter um ihren einzigen Sohn bangte, konnte sich der allgemeinen Begeisterung nicht entziehen.
    Karoline hielt sich als Einzige zurück. Ihre Eltern saßen schon über Landkarten und versuchten, die Entwicklungen an den künftigen Fronten vorauszusehen. Auch ihre Freundinnen und Bekannten waren im Bann des historischen Augenblicks, nur sie war still, fast melancholisch.
    Ludwig versuchte, sie aufzumuntern: »Du wirst

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