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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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entgeistert an. »Was redest du, ich weiß gar nicht, was unsere Beziehung ihm bedeutet, ob er ernsthafte Absichten hat. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt an die Zukunft denkt. Ich bin ja auch keine Jüdin.«
    »Ich glaube, dass er es ernst meint«, sagte die Freundin. »Außerdem weiß niemand, was uns bevorsteht. Alles deutet darauf hin, dass wir auf einen Krieg von bisher unbekannten Ausmaßen zusteuern, und Ludwig wird eingezogen werden wie alle anderen…«
    »Was heißt, wie alle anderen?«, fiel ihr Karoline ins Wort. »Er ist schon ganz ungeduldig und will als Freiwilliger an die Front!«
    »Dann ist meine Frage erst recht aktuell. Ich dachte, dass Ludwig sich vielleicht vom Wehrdienst zurückstellen lässt, bis er sein Studium beendet hat, aber wenn er das nicht tut, frag ich mich wirklich, warum ihr euch nicht jetzt schon verlobt.«
    »Will dein Verlobter denn heiraten, bevor er eingezogen wird?«
    »Friedrich und ich wollen heiraten, sobald es geht. Wir sind fest entschlossen. Die Zeit ist knapp, und unsere Eltern sind unsicher, ob die Hochzeit stattfinden soll, bevor er in einen Krieg zieht, dessen Dauer nicht abzusehen ist, aber ich werde darauf bestehen.« Friede erklärte, sie seien beide der Meinung, dass sie gerade wegen der ungewissen Zukunft ihre Beziehung auf einefeste Basis stellen sollten, damit nichts Unvorhergesehenes sie trennen könne.
    »Du hast recht«, sagte Karoline. »Aber bei mir liegen die Dinge ganz anders. Ich habe keine Ahnung, wie es um unsere Beziehung steht und welche Absichten Ludwig hat. Er sagt mir zwar immer wieder, wie schön und anziehend er mich findet und wie wichtig ihm unsere Freundschaft ist. Er behauptet sogar, dass er viel von mir lernt. Aber die Worte ›Ich liebe dich‹ bringt er nicht über die Lippen.«
    »Und du? Hast du ihm schon gesagt, dass du ihn liebst?«
    »Um Himmels willen!«, rief Karoline. »Wo denkst du hin?«
    »Aha«, sagte die Freundin, »du liebst ihn, du bist in ihn verknallt, traust dich aber nicht, es zu sagen. Kannst du dir nicht vorstellen, dass er dir in dieser Beziehung ähnlich ist? Fragen wir einmal anders: Habt ihr schon miteinander geschlafen?«
    »Äh, hm…«, stotterte Karoline, konnte aber dem durchdringenden Blick ihrer Freundin nicht widerstehen. »Ja und nein.«
    »Was meinst du damit?«
    »Wir haben alles gemacht«, sagte sie und fügte hastig hinzu: »Aber ich habe ihm nicht erlaubt, in mich einzudringen.«
    Friede lachte: »Und du denkst, dass du auf diese Weise deine Unschuld bewahrt hast, wie es sich für ein anständiges Mädchen aus gutem Haus gehört, stimmt’s?«
    Das Gespräch war für Karoline ebenso peinlich wie notwendig. Endlich konnte sie über dieses Thema reden, das sie so sehr beschäftigte. Sie schluckte. »Was soll ich denn machen?«
    »Eines ist offensichtlich«, erwiderte Friede, »du bist in ihn verliebt und kannst dir vorstellen, dein Leben mit ihm zu verbringen. Ermutige ihn! Ich habe den Eindruck, dass er ein feinfühliger, romantischer Mensch ist. Ein wenig verträumt. Selbst wenn er über den bevorstehenden Krieg spricht, fällt einem seine romantische Ader auf. Er scheint auch nicht übermäßig viel Selbstvertrauen zu haben. Aber ich bin sicher, dass er in dich verliebt ist. Ich habe den ganzen Nachmittag beobachtet, wie erdich ansieht. Er zieht dich mit den Augen aus, er saugt jedes deiner Worte ein. Als ich ihn ansprach, hatte ich fast das Gefühl, dass ich störe. Er will nur mit dir reden, nicht mit mir…«
    »Nein, nein«, unterbrach Karoline sie, »du übertreibst. Woher willst du das wissen?«
    Friede schwieg und warf Karoline einen spöttischen Blick zu. Insgeheim dachte sie: ›Wie typisch für Liebende – diese Ängste und Missverständnisse.‹ Schließlich sagte sie: »Du musst Ludwig dazu ermutigen, dir zu sagen, was er für dich empfindet. Und behaupte nicht, dass du nicht weißt, wie man das macht!«
    »Angenommen, du hast recht«, sagte Karoline. »Angenommen, er liebt mich und sieht in unserer Beziehung mehr als eine Episode. Glaubst du, dass diese Verbindung eine Zukunft hat?« Sie zögerte einen Augenblick, als sie Friedes fragenden Blick auffing, und fügte hinzu: »Er ist doch Jude.«
    Die Freundin brach in Gelächter aus: »Ist dir eigentlich klar, mit wem du redest? Was ist mit mir? Bin ich keine Jüdin? Und trotzdem heirate ich Friedrich, einen getauften und konfirmierten Christen!«
    »Das ist nicht dasselbe«, gab Karoline zurück. »Du bist eigentlich nur eine

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