Suess und ehrenvoll
sehen, es wird ein kurzer Krieg, kurz und ruhmreich. In ein paar Wochenkehrt alles wieder in gewohnte Bahnen zurück. Ich werde weiterstudieren. Schlimmstenfalls verliere ich ein Studienjahr. Aber was ist ein Jahr, wenn uns der Atem der Geschichte anweht?« Er lächelte. »In ein paar Monaten«, fuhr er fort, »sind wir wieder zusammen und können Zukunftspläne schmieden.«
Karoline warf ihm einen forschenden Blick zu, der ihm zu Bewusstsein brachte, dass er bisher noch gar nicht gewagt hatte, von irgendwelchen Zukunftsplänen mit ihr zu sprechen. Dann wechselte sie plötzlich das Thema. »Habe ich dir eigentlich schon von Friede erzählt? Sie kommt aus Berlin und ist zur Zeit bei uns zu Besuch. Ich möchte, dass du sie kennenlernst.«
»Ist das eine von deinen Freundinnen aus Heidelberg?«
»Nein. Ich dachte, ich hätte dir schon von ihr erzählt. Ich kenne sie schon seit unserer Kindheit, weil unsere Eltern befreundet sind. Die Friedmanns stammen auch aus Frankfurt, sind aber nach Berlin gezogen, als Friedes Vater ans Kaiser-Wilhelm-Institut berufen wurde. Seitdem besuchen Friede und ich uns in den Ferien. Ich fahre zu ihr nach Berlin, oder sie kommt zu mir nach Frankfurt. Und wenn wir nicht zusammen sind, schreiben wir uns.«
Die Begegnung fand schon am nächsten Tag bei einem Spaziergang am Mainufer statt. Friede war groß, hatte üppiges blondes Haar, ungewöhnliche graue Augen und eine resolute, aristokratische Nase – wie Friedrich Schiller, fand Ludwig.
»Karoline hat mir gesagt, dass Sie Friedmann heißen?«, sagte er vorsichtig.
»Allerdings«, erwiderte sie, »Sie brauchen nicht lange herumzurätseln, wir sind Juden.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Sind die Berliner Juden auch so kriegsbegeistert wie die Juden in Frankfurt?«
»Ich denke ja, auch wenn ich es nicht verstehen kann.« Aus dem Augenwinkel sah Ludwig, dass Karoline ihrer Freundin zunickte. Er ließ das Kriegsthema fallen.
Sie verbrachten einen unbeschwerten Nachmittag miteinander, während sie von der Wilhelmsbrücke durch das »Nizza« zum Eisernen Steg schlenderten und in der Neuen Kräme noch Eis aßen. Ludwig wurde dennoch das Gefühl nicht los, dass die Freundin aus Berlin ihn die ganze Zeit beobachtete, und er fragte sich, was das wohl zu bedeuten hatte.
»Hast du Lust, heute Abend zum Essen zu uns zu kommen?«, fragte Karoline plötzlich.
Ludwig erschrak. Sollte er sich so unvermittelt bei Karolines Eltern vorstellen? Zumindest ihre Mutter wusste wohl, dass sie gelegentlich ausgingen – aber eine regelrechte Essenseinladung, das war doch etwas anderes.
»Keine Angst«, lachte Karoline. »Du kannst den schwarzen Anzug im Schrank lassen. Meine Eltern sind nicht zu Hause.«
Tatsächlich hatten die jungen Leute die Wohnung für sich. Als sie nach dem Essen gemütlich auf dem Balkon saßen, fragte Karoline ihre Freundin: »Wärst du damit einverstanden, wenn wir in Ludwigs Gegenwart auch über ein Thema sprechen, das dich betrifft?« Friede nickte, und Karoline wandte sich an Ludwig: »Friede und ich haben über ihre Heiratspläne gesprochen. Sie ist seit einem halben Jahr mit Friedrich verlobt, einem Maler, einem Schüler Max Liebermanns. Diese Woche haben ihre drei Brüder den Einberufungsbefehl erhalten, und sie fragt sich jetzt, wann ihr Verlobter einberufen wird. Was glaubst du, mit welchen Gefühlen sie diesem Krieg entgegensieht? Mit derselben Freude und Begeisterung wie du?« Unversehens war ein kritischer Unterton in Karolines Stimme gekommen.
Friede versuchte, sie zu beschwichtigen: »Lass nur, Karoline. Es wird nicht so lange dauern, bis wir uns alle wiedersehen und den Sieg feiern, du und Ludwig, meine drei Brüder und mein künftiger Bräutigam und ich«, sagte sie mit einem Lächeln, das wenig überzeugend wirkte. Karoline erwiderte ihr Lächeln nicht und wechselte das Thema.
Friede und Karoline sahen sich nicht oft. Aber wenn sie beisammen waren, breiteten sie ihre intimsten Geheimnisse aus. So war es nur natürlich, dass Friede nach dem sonntäglichen Treffen zu dritt gern mehr über Ludwig erfahren wollte. Sie bat Karoline, mit ihr in den Palmengarten zu gehen, für den die Schulzendorfs als Gründungsmitglieder der »Palmengarten-Gesellschaft« ein Abonnement hatten.
Ausgerechnet im Großen Gewächshaus, unter den hohen Bananenpflanzen mit den spärlichen grünen Früchten, die nie richtig reif wurden, ging Friede zum Generalangriff über. »Wollt ihr euch verloben?«, fragte sie.
Karoline sah sie
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