Suess und ehrenvoll
von zu Hause geschickt wurden, unterhielt sich mit seinen Bettnachbarn und konnte beinahe ungestört träumen. Seit jenem Frühjahr vor Beginn des Krieges, in dem er Karoline kennengelernt hatte und in dem ihre Liebe gewachsen war, hatte er die Liebe, so schien es ihm, nicht mehr so glühend empfunden wie jetzt auf seinem Krankenbett. Die Sehnsucht bereitete ihm geradezu körperlichen Schmerz. In sich gekehrt, beschwor er Karoline in sich herauf.
In seiner Vorstellung betrachtete er sie wie ein seltenes, kostbares Kunstwerk. Und er, er genoss das Privileg, diesen Schatz, seine Karoline, durch und durch zu kennen. In Gesellschaft anderer, mehr oder weniger fremder Menschen hatte er sie oft mit beinahe scheuen Blicken heimlich beobachtet, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Doch wenn sie alleine gewesen waren, hatte er sie unablässig angeschaut, und wenn sie zusammen im Bett gelegen hatten, hatte er jede verborgene Stelle ihres Körpers liebkost, bis sie aufgeschrien hatte. Ihren Mund und Hals hatte er so heftig geküsst, dass sie sich manchmal von ihm losgerissen und protestiert hatte, die Flecken davon könnte am nächsten Tag jeder sehen und deuten. Dann hatte er für einen Moment von ihr abgelassen, Mund und Nase an ihren Mund gedrückt und ihren Duft eingeatmet.
Bei Karoline passte alles zusammen. Wenn er in dem schmalen Krankenhausbett auf dem Rücken lag und ab und zu sein eingegipstes Bein bewegte, um dem unerträglichen Jucken beizukommen, träumte er von ihr. Oft gelang es ihm sogar, ihre Düfte in sich wachzurufen. Ja, er roch sie immer deutlicher, immer stärker. Glück überflutete ihn, und damit wuchs die Sehnsucht schier ins Unendliche. Würde Karoline bereit sein, ihn im Krankenhaus zu besuchen? Würde sie eine Besuchserlaubnis erhalten? Was aber sollte er hier mit ihr anfangen, im Beisein der anderen Verwundeten, die das glückliche Paar mit Blicken verschlingen und jedes Wort ihrer Gespräche belauschen würden? Doch das Schlimmste war dieser störrische Gips, der ihm bis an die Leiste reichte und seine Beweglichkeit empfindlich einschränkte. Vor allem die seines Geschlechts.
Natürlich würde Karoline nicht verstehen, warum er zögerte, sie hier zu empfangen. Amüsiert malte er sich aus, wie er ihr später einmal, gegen ihren Protest, erklären würde, welche Gründe ihn dazu bewogen hatten. Und nicht nur das würde er ihr erzählen, sondern auch andere Gedanken, die ihm in diesen Tagen durch den Kopf gegangen waren. Sollte er ihr das alles jetzt schon schreiben? Nein, er wollte sehen, hören und spüren, wie sie darauf reagierte. Oft hatte sie sich über ihn lustig gemacht, wenn er ihr erzählt hatte, er könne in Gedanken Gerüche heraufbeschwören. Diesmal würde er ihr erzählen, wie es ihm gelungen war, ihren Duft lebendig werden zu lassen, und was dies trotz des Gipsverbands bei ihm ausgelöst hatte. Er lächelte, meinte schon vor sich zu sehen, wie sie ihn mit einem leichten Schlag gegen die Brust von sich stoßen und ihn mahnen würde, er solle nicht immer solche Geschichten erfinden. Sie würde ihn auslachen: »Was redest du da? Etwas riechen, was gar nicht da ist? Das gibt es nicht!« Ob sie ihm glaubte oder nicht, ihr ausgelassenes Lachen und die blitzende Freude in ihren ausdrucksvollen braun-grünen Augen wären reine Seligkeit für ihn. Wenn er nur daran dachte, überkam ihn eine Welle vonGlück! ›Ach, meine Karoline‹, dachte er, ›immer widerspricht sie mir.‹ Sie würde bestimmt auch die Verärgerte spielen, weil er es für besser gehalten hatte, dass sie ihn nicht im Krankenhaus besuchte. Keines seiner Argumente würde sie gelten lassen. Warum hätte sie sich genieren sollen, würde sie sagen, wenn sie zu ihm zu Besuch gekommen wäre? Sie hätte ihn überall geküsst, oder fast überall, und ihn gesund gestreichelt, ohne auf die Blicke seiner Kameraden zu achten.
So stellte sich Ludwig diese Szene zumindest vor, und genau davor hatte er Angst. Nein, solange er im Krankenhaus war, würde er sich mit den Gedanken an sie begnügen. Er würde sich so sehr in sie vertiefen, dass es wehtat. Schon manchmal hatte er diesen merkwürdigen Schmerz gespürt, einen physischen Druck in der Brust vor lauter Sehnsucht und Begehren. Das musste diese geheimnisvolle Sache sein, von der er in seinen geliebten französischen Romanen gelesen hatte: Qualen der Liebe. Es stimmte schon, er litt Qualen, und doch, was konnte wunderbarer sein als dieser Schmerz?
Seine Träume wurden jäh
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