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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Paula mied
jedes Gespräch, zog die inneren Rollos für immer herunter.
    Da die Schrecken aber so nicht erkannt und gelöst, sondern nur verdrängt wurden, wird sie sich zum Ausgleich in Zukunft darauf kaprizieren, andere Marotten zu pflegen, etwa einen Tick
entwickeln, sich vor Spinnen fürchten oder Menschen kalt gegenübertreten. Es findet sich meistens etwas, womit man Seelenqualen bannen kann, was man jedoch an anderer Stelle mit
Empfindungslosigkeit oder Hysterie bezahlt. Paulas Trauer wird darum sanft sein, wenn einmal in Zukunft ein Geliebter sie verlässt. Soll er gehen, wird sie beinahe gleichgültig wissen,
der Nächste kommt bestimmt. Selbst ihr Glücksgefühl wird dumpf bleiben, sie wird nie etwas richtig genießen können, aber auch nicht mehr völlig verzweifelt sein. Auf
diese Weise ausgestattet, wird sie genau da hinpassen, wo ihre Eltern sie haben wollten, in eine Sphäre, wo man keine Zicken macht, nicht zimperlich sein darf, wo die Folgen des Handelns
harmlos sind, weil nur die anderen darunter leiden, nie die Verursacher selbst. Wo man seine Dinge in trockenen Tüchern hat statt das Herz am rechten Fleck.
    »Wo gehörst du hin, wer wartet auf dich?«, fragte der Apotheker.
    Sie antwortete lange nicht auf diese Frage. Galle kam jeden Tag, um mit ihr Karten zu spielen, dem steckte sie irgendwann endlich eine Adresse aus Dresden zu.
    Sechs Wochen später fuhren die beiden Helfer Paula heim. Der Apotheker hielt den Wagen unterhalb einer wunderschönen Hängebrücke an, Galle reckte seine Gliedmaßen, die
von der langen Reise steif geworden waren. Paula stieg aus, sie öffnete die hintere Klappe des Wagens und nahm ihre Reisetasche heraus, hängte sie sich über die Schulter, wandte sich
um und ging ohne ein weiteres Wort die schmale Straße am Ufer entlang. Der Apotheker starrte ihr fassungslos nach, er hatte wenigstens einen Abschiedsgruß erwartet, ein paar Worte nur.
Galle dagegen lächelte freundlich, er hielt ihr seine ausgestreckte Hand hinterher und rechnete fest damit, dass sie umkehrte, einschlug und sich bei ihm bedankte, doch sie dachte gar nicht
daran. Da ging der Apotheker ihr nach.
    »Lass dich verabschieden, mein Kind.«
    Er legte ihr die Hand auf die Schulter: »Wir sehen uns im Frühjahr wieder.«
    Paula blickte zu Boden, zeichnete mit den Füßen ein unsichtbares Muster auf den Bürgersteig, kaute auf einer ihrer Haarsträhnen, schaute ihren Helfer eingeschüchtert
von unten herauf an.
    »Muss das sein?«
    »Ja, das war die Bedingung. Datum und Zeit kennst du.«
    »Wenn nicht?«
    »Stehen wir alle vor deiner Tür.«
    Ihr Schlüssel passte noch, ihre Eltern brachen zusammen, als sie da plötzlich in der Tür stand. Ihr Vater küsste wahrhaftig ihre Füße, Paula
beugte sich hinab und weinte nun doch ein wenig. Sie wird ihnen nie verraten, wo sie war, noch, was sie in dieser Zeit getan hat. Es war ein langer, nötiger Urlaub ohne Eltern, und er war gut
gewesen. Sie wolle gern in ein Internat, teilte sie ihnen mit, und vor allem wolle sie keine einzige Zeile in der Zeitung, kein Interview nirgendwo, sonst würde sie wieder fortlaufen, diesmal
für immer. Ihre Eltern waren mit allem einverstanden, sie hätten ihr eine Reise zum Mond ermöglicht, wenn dann nur wieder alles gut war.
    Den Jungen mit den dunklen Augenbrauen von der Fete in Cottbus hat Paula nie wiedergesehen. Sie hätte ohnehin nicht begriffen, was sie miteinander verbindet.
    Anfang September kam Ludmilla ohne Doppeldecker-Schorschi und zeigte Annie Fotos von vermissten dunkelhaarigen Frauen um die dreißig.
    »Ist sie darunter?«
    »Wie gehts dem Baby?«, fragte Annie.
    Dazu könne man wenig sagen, das Verfahren laufe noch.
    »Ich meine keine Aktendeckel«, antwortete sie der Polizistin, »sondern den kleinen Lebendigen mit Beinen und Armen dran, erinnern Sie sich?«
    Dafür seien andere Beamte zuständig, gab Ludmilla monoton Auskunft, nicht die Kripo. Annie ließ sich diese Antwort nicht gefallen, sie rückte ihren Stuhl vom Tisch weg,
verschränkte die Arme und guckte an die Decke. Die Fotos ließ sie unbeachtet.
    »Man sucht Pflegeeltern.«
    »Wann kann ich hier raus?«
    »Wenn deine Mutter auftaucht, kannst du unter Auflagen nach Hause. Das Jugendamt achtet nämlich auch auf dich! Ich habe eine gute Nachricht. Dieser Schuhverbrenner bleibt unbehelligt,
der Apotheker hat sich für ihn verbürgt.«
    Annie nickte beruhigt und schaute sich nun die Frauen auf den Fotos an. Sie hatten allesamt jede Menge

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