Süße Fesseln der Liebe
frühen Morgen. Aber sie hatte keine Wahl, als sich für den Kampf zu rüsten, und setzte sich in den Kissen auf.
»Nein, Franny. Lyra bleibt hier bei mir. Wenn du möchtest, bringe ich sie mit, wenn ich dich nachmittags abhole. Dann kannst du mit Stevie und ihr bei Tante Nell im Garten spielen. Aber du darfst sie nicht den ganzen Tag haben.«
Frannys Unterlippe zuckte. »Aber ich will Stevie zeigen, dass sie tut, was ich sage.«
»Aber sie tut nicht das, was du sagst, Franny.«
Das Kind rannte zur Tür, die gerade geöffnet worden war. Greville stand auf der Schwelle, eine Tasse Kaffee in der Hand.
»Doch, tut sie doch«, widersprach Franny beharrlich.
»Nein«, wehrte Greville ab, »Lyra tut nur das, was sie glaubt, die Menschen würden es von ihr erwarten. Wenn sie dem Ball nachrennt oder bei Fuß geht, sobald du sie rufst, dann nicht, weil du es ihr befohlen hast, sondern wegen ihres Unterrichts. Wenn du ihr einen Befehl gibst, den sie nicht kennt, wird sie dir nicht gehorchen.«
Franny warf Greville einen misstrauischen Blick zu, schien sich aber auch für das Problem zu interessieren. »Nun, wer hat ihr beigebracht, was sie tun soll?«
»Ihr Lehrer«, erklärte er, kam ins Schlafzimmer und setzte sich ans Ende des Bettes, »ein Mann, der sich auf Hunde versteht. Und du, mein Kind, bist noch nicht alt genug, um einen Hund zu trainieren. Außerdem ist Lyra ein Wachhund. Sie macht nur ihre Arbeit.«
»Was soll das heißen? Hunde arbeiten doch nicht.«
»Doch, sie arbeiten. Zum Beispiel hüten sie Schafe. Sie bewachen Gebäude, und manchmal bewachen sie auch Menschen.«
Franny riss die Augen auf. »Und was arbeitet Lyra? Wir haben doch gar keine Schafe.«
»Da hast du dir die Frage selbst beantwortet«, meinte Greville und bot Aurelia den Kaffee an.
Sie nahm die Tasse dankbar entgegen und gönnte sich einen belebenden Schluck. »Franny, du hast hoffentlich begriffen, dass du Lyra nicht einfach von ihrer Arbeit wegreißen kannst. Sie wäre sehr unglücklich.«
»Oh.« Franny rutschte vom Bett. »Aber wenn du mich heute Nachmittag abholst, dann bringst du sie mit, damit ich Stevie alles zeigen kann.«
»Ja, meine Liebe. Und nun lauf und such Daisy. In ein paar Minuten werde ich nach unten kommen und dich verabschieden.« Aurelia streckte die Arme nach ihrer Tochter aus und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Franny erwiderte die Umarmung und rannte davon. Nachdem das Mädchen das Schlafzimmer verlassen hatte, lehnte Aurelia sich in die Kissen zurück und trank einen Schluck Kaffee. »Es ist gut, dass du nicht von oben herab mit ihr redest«, bemerkte sie.
»Sie hat ein kluges Köpfchen … manchmal ein wenig herausfordernd, aber sie ist garantiert nicht dumm.« Greville ging zum Fenster und zog die Vorhänge zurück, ließ die sanfte Maisonne ins Zimmer.
»Kannst du ihren Vater in ihr erkennen?«
Langsam drehte Greville sich vom Fenster zu ihr. »Ich hatte noch niemals einen guten Blick für Ähnlichkeiten zwischen kleinen Kindern und ihren Eltern. Ich sehe auch nicht, wozu es dienen sollte. Sie bleiben doch, wie sie sind.«
Seine Auffassung ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Aurelia bemerkte, dass sie mit ihrer Frage zu dicht an die unsichtbaren Mauern geraten war, die ihn undurchdringlich umschlossen. »Kann sein«, gab sie schulterzuckend zurück, »im Grunde genommen ist es nicht mehr als ein Spiel, mit dem wir uns ein bisschen unterhalten. Eltern gefällt es, wenn man behauptet, ihre Kinder sähen ihnen in mancher Hinsicht ähnlich.«
»Nun, da ich niemals ein eigenes Kind haben werde, werde ich auf dieses Vergnügen verzichten müssen. Allerdings bin ich wirklich hier, um mit dir über Franny zu sprechen.«
»Tatsächlich?«
Gedankenverloren rieb sich Greville das Kinn. Er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er das Thema anschneiden sollte, ohne Aurelia in Alarmzustand zu versetzen. Natürlich wollte er, dass sie sich Don Antonio näherte; aber er wollte keineswegs, dass sie sich wegen des Kindes Sorgen machte. Er war überzeugt, das Kind beschützen zu können. Allerdings würde es einfacher werden, wenn sie sich vom Netz der Intrigen fernhielt, das sich fester und fester um die South Audley Street spannte.
»Was ist los?« Seine Miene beunruhigte sie.
»Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht besser wäre, wenn Franny sich woanders aufhalten würde, solange ich mit Vasquez arbeite. Vielleicht bei deinen Freunden auf dem Lande.«
»Warum?«, stieß sie rasch
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