Süße Fesseln der Liebe
Miguel war schließlich nicht aufgetaucht, und sie vermutete, dass er den Beweis hätte liefern sollen. Wenn er weit und breit nicht in Sicht war, dann lag der Gedanke nahe, dass er bei Frannys Entführung versagt hatte. Und wenn das alles war, was Vasquez gegen sie in der Hand hielt, dann würde er in ihr eine größere Herausforderung finden, als er es sich jemals hätte träumen lassen. Beiläufig wandte sie den Blick zum Fenster und versuchte sich zu merken, welche Strecke sie entlangfuhren.
Don Antonio beugte sich vor, zog die Ledervorhänge zu und sperrte das Licht aus. Aurelia lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Der Spanier beobachtete sie genau, hatte die Lippen zu einer dünnen, grausamen Grimasse verzogen. Was ist Miguel zugestoßen? Falls diese Frau sich tatsächlich nicht um ihr Kind ängstigte, wäre sie erheblich schwieriger zu brechen. Ohne Miguel wäre es eine Katastrophe. Natürlich konnte Don Antonio auch selbst dafür sorgen, aber er beherrschte nicht die Techniken seines Gehilfen, die Tricks der Inquisition.
Und die Arbeit musste noch heute Nacht erledigt werden. In Blackfriars wartete das Schiff auf ihn, um ihn auf der Themse aus der Stadt hinauszubringen. Im Sattel eines Pferdes und um diese Uhrzeit allein auf der Straße, würde er in weniger als einer Stunde am verabredeten Ort erscheinen. Nein, er durfte keine Zeit damit verschwenden, sich um seinen Gehilfen zu kümmern, was auch immer ihm passiert war. Er musste so schnell wie möglich diese Frau brechen.
Greville dämmerte es nur langsam, viel zu langsam, wie er sich später vorwerfen würde, dass Aurelia verschwunden war. Während der Quadrille hatte er die beiden beobachtet, hatte den Spanier sogar widerwillig bewundert, wie leichtfüßig er den komplizierten Tanz bewältigen konnte, den er schon nach wenigen Schritten hätte aufgeben müssen. Der Tanz erstreckte sich über vier oder fünf schwierige Figuren, und nach einer Weile hatte er sich auf die Suche nach angenehmerer Gesellschaft gemacht. Prinz Prokov musterte das Büfett im Esszimmer mit verhaltener Neugierde.
»Ah, Falconer, vielleicht können Sie mich aufklären. Was sind das nur für kleine Dinger in diesen Eisschälchen, die die Leute mit den zarten Nadeln aufspießen?«
»Schnecken. Außerdem Muscheln und Wellhörner. Recht köstlich, aber ich neige trotzdem zu der Auffassung, dass die Mühe des Verzehrs den kurzen Augenblick des köstlichen Geschmacks kaum lohnt.«
»Das sind Meerestiere?« Alex nahm eine zarte Muschel vom Teller und betrachtete sie aus der Nähe.
»Ja. Sie kleben am Felsen. An unseren Küsten kommen sie ziemlich häufig vor und werden in allen Schichten der Gesellschaft als Delikatesse verzehrt. Überall entlang der Küste können Sie Straßenhändler finden, die sie im Angebot haben. Man sagt, dass ein Spritzer Essig den Genuss enorm steigert.«
Alex griff nach einem Stäbchen und brach das Häppchen aus der Muschel, probierte es auf der Zunge und schluckte es schulterzuckend hinunter. »Ich begreife nicht recht, das solch ein Aufhebens darum gemacht wird. Allerdings weiß Livia den Geschmack von eingelegtem Hering auch noch immer nicht zu schätzen, was ich wiederum nicht einsehen kann.«
Greville lachte und schaute sich um. »Wo steckt eigentlich Ihre Frau?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich sitzt sie immer noch mit einer Freundin in der Ecke und unterhält sich über die Freuden der Mutterschaft. Darüber haben sie jedenfalls gesprochen, als ich sie verlassen habe. Es ist natürlich auch denkbar«, fuhr Alex fort, »dass sie das Thema nur angeschnitten haben, um mich loszuwerden. Dann unterhalten sie sich jetzt über viel interessantere Geschichten, die nicht für männliche Ohren bestimmt sind.«
Lächelnd schaute er Greville an, wartete offenbar auf Zustimmung, bemerkte aber das leichte Stirnrunzeln seines Begleiters. »Aurelia war nicht bei ihnen?«
»Nein, sie hat mit Don Antonio Vasquez getanzt.« Grevilles Stimme klang plötzlich scharf. »Bitte entschuldigen Sie mich, Prokov.« Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Esszimmer. Kurze Zeit später folgte Alex.
Weder im Ballsaal noch im Kartenspielzimmer war Aurelia zu finden. Greville schlenderte an den geöffneten Fenstern vorbei, wo die Gäste in Gruppen herumstanden, um nach den anstrengenden Tänzen ein wenig frische Luft zu schnappen. Aber Aurelia war nicht unter ihnen. Und Don Antonio auch nicht.
»Wer hat sie zuletzt gesehen?«, fragte Alex leise.
Greville
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