Süße Fesseln der Liebe
bemerkte er und führte sie, die Hand an ihrem Ellbogen, zu einem offenen Fenster am entlegenen Ende der Halle. »Lassen Sie uns ein wenig frische Luft schöpfen.«
Aurelia folgte ihm bereitwillig. Aber anstatt die Fenster noch weiter zu öffnen, trat er hinter einen Schirm, der eine schmale Tür verdeckte. Der Griff seiner Hand um ihren Ellbogen wurde stärker. Sofort reagierte sie panisch, beherrschte sich aber und schaute ihn misstrauisch an. Inzwischen hatte er sie längst durch die Tür in ein enges, dunkles Dienstbotentreppenhaus gezerrt.
»Wehe, wenn Sie auch nur einen einzigen Ton von sich geben«, flüsterte er sanft, »die Sicherheit Ihrer Tochter hängt davon ab.«
»Meine Tochter … Franny … Was soll das heißen?« Die Angst schnürte ihr förmlich die Kehle zu, sodass sie kaum sprechen konnte.
»Sie ist einigermaßen sicher. Es liegt an Ihnen, ob das auch so bleibt oder nicht.« Er führte sie die Treppe hinunter. Nach kurzer Zeit hatte Aurelia ihre Fassung wiedergewonnen.
Sie blieb mitten auf der Treppe stehen, umklammerte das Geländer mit festem Griff. »Wo ist sie?«, fragte sie ebenso ruhig wie eiskalt. »Ich mache keinen Schritt mehr und bleibe hier stehen, bis Sie es mir verraten haben.«
»Sie befindet sich in meiner Gewalt, und ich werde Sie zu ihr bringen. Aber wenn unser kleines Rendezvous nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet, werden Sie sie niemals wiedersehen. Ich schlage vor, dass wir uns beeilen.« Er zerrte an ihrem Ellbogen.
Kann ich ihm glauben? Oder besser: Kann ich es mir leisten, ihm nicht zu glauben? Schließlich war es Greville gewesen, der ihr eingetrichtert hatte, niemandem zu vertrauen. Aber jetzt war eine andere Situation eingetreten. Auf keinen Fall durfte sie ein Risiko eingehe. Entschlossen stieg sie die Treppe nach unten bis in eine kleine Halle und hielt wieder inne. »Ich verlange einen Beweis, dass ich meine Tochter sehen werde. Andernfalls werde ich Sie nicht begleiten.« Die flackernde Kerze im Wandhalter verströmte nur wenig Licht, aber trotzdem konnte sie seinen harten Mund und die Kälte in den ausdruckslosen Augen gut erkennen.
»Draußen werden Sie Ihren Beweis bekommen«, erwiderte er und entriegelte die Tür in seinem Rücken. Inzwischen würde Miguel mit der Kutsche zurück sein und sämtliche Beweise mitführen, die die Frau sich nur wünschen konnte. Dann würde sie endlich den Mund halten, und der Rest würde sich wie von selbst erledigen.
Aurelia dachte fieberhaft nach. Sobald sie das Haus verlassen hatte, wäre sie vollkommen auf sich selbst gestellt; solange sie sich unter dem Dach der Bonhams aufhielt, wusste sie Greville in der Nähe, auch dann, wenn sie im Moment keine Möglichkeit sah, ihn zu benachrichtigen, was ihr zugestoßen war.
»Wenn wir nicht pünktlich zu dem Rendezvous erscheinen, werden Sie Ihre Tochter niemals wiedersehen«, wiederholte Don Antonio mit einer Stimme so hart und kalt wie ein geschliffener Diamant. Er öffnete die Tür, die, wie Aurelia feststellte, auf einen schmalen Durchlass seitlich des Hauses hinausführte.
Greville würde ihre Abwesenheit früh genug bemerken und die richtigen Schlüsse daraus ziehen, sobald er entdeckt hatte, dass der Spanier ebenfalls verschwunden war. Trotzdem musste sie irgendeine Spur hinterlassen, irgendein Zeichen geben. Aurelia hatte keine Ahnung, wie oft diese Treppe benutzt wurde, aber sie musste ihre Chance nutzen, denn eine zweite würde sie nicht bekommen.
Don Antonio spähte hinaus in den Durchlass. Genau in diesem Moment ließ sie den Fächer so leise wie möglich auf die Treppenstufe hinter ihr gleiten. Vielleicht war die Hoffnung vergeblich, dass der Fächer schnell gefunden werden würde. Aber mehr konnte sie nicht tun, und Greville würde wenigstens wissen, an welcher Stelle sie verschwunden war. Der Fächer war das Werkzeug gewesen, mit dem sie sich verständigt hatten, und deshalb würde er die Bedeutung des Zeichens keinesfalls unterschätzen. Es schrie geradezu danach, dass der Spanier seine Finger im Spiel hatte, was ihr Verschwinden betraf.
Aurelia zögerte, an Don Antonio vorbei nach draußen in den Durchlass zu treten, wusste sie doch, dass sie nun all ihre Verteidigungsmöglichkeiten aufgab. Es klang grauenhaft endgültig, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Wieder umklammerte er ihren Ellbogen und schob sie bis zum Ende des Durchlasses, der sich auf eine schmale Gasse hinter den Häusern öffnete. Bis auf eine einzelne unauffällige Kutsche
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