Süße Fesseln der Liebe
gefühlt, dass ihr das Herz beinahe zerspringen wollte, und nicht den geringsten Zweifel daran gehegt, dass die Zukunft, die vor ihr lag, genau richtig für sie war. Jetzt, als sie den Zitronenduft einatmete, fragte sie sich, ob Frederick an jenem sonnigen Nachmittag wohl genauso empfunden hatte. Vielleicht hatten seine Gefühle nicht so tief gereicht wie ihre; nur dass sie es sich nicht erlaubt hatte, dies auch zu erkennen.
Mit einem leisen Seufzer schob sie den Zweig beiseite, zog sich den Handschuh an und spazierte weiter den Weg entlang. Als sie auf einem Grasfleck in der Mitte des Parks angekommen war, beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. Die feinen Härchen in ihrem Nacken sträubten sich, und ein Schauder kroch ihr über den Rücken. Aurelia blieb stehen und schaute sich um. Kein Mensch weit und breit. Trotzdem wusste sie, dass sie in Gesellschaft war. Ihre Haut wusste es. Es mochte auch sein, dass sie unwillkürlich schauderte, weil sie sich fühlte, als wäre jemand auf ihr Grab getreten - anstatt den Weg außen herum zu nehmen. Und … hatte sie sich nicht in Gedanken mit dem Tod beschäftigt?
Einen Moment lang verharrte sie auf dem Kiesweg, lauschte dem beruhigenden Lärm des Verkehrs nur ein paar Meter entfernt auf der anderen Seite des eisernen Zaunes. Wovor sollte sie sich mitten in London an einem hellen Vormittag fürchten müssen? Aber wie dem auch sei … Die Stille im Park schien unnatürlich. Sogar die Vögel schwiegen. Erschrocken zuckte sie zusammen, als es hinter ihr raschelte, und wagte einen Blick über die Schulter. Ein Eichhörnchen grub in dem fetten Boden neben einer Eiche. Sonst nichts.
»Ist da wer?«, rief sie zögerlich.
Keine Antwort. Rasch setzte sie ihren Weg zur Straße fort, in Richtung der Fußgänger und Kutschen. Es kam ihr vor, als würde ihr Rücken vollkommen nackt sein, als hätte man eine Zielscheibe darauf gezeichnet. Kein Zweifel, dass ihre wirren Gedanken den Ereignissen des vergangenen Tages geschuldet waren. Es war, als ob Frederick irgendwie von den Toten auferstanden und dann wieder begraben worden wäre … Kein Wunder, dass ihre Nerven verrückt spielten.
Mit ungeschickten Fingern fummelte Aurelia am Riegel des Gatters herum, bis sie endlich die undurchsichtigen grünen Schatten des Parks verlassen und die breite, geschäftige Straße betreten konnte. Sie atmete tief durch, straffte die Schultern und strich sich das Kleid glatt, bevor sie ihren Weg zur Holles Street fortsetzte. Aber trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass ihr jemand folgte. Sie blieb stehen, schaute sich um. Viele Menschen waren unterwegs, gingen offensichtlich ihren Geschäften nach. Allerdings kannte sie niemanden.
Aurelia atmete stoßweise. Sie hatte den Eindruck, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Warum, um alles in der Welt, sollte ihr jemand folgen? Was sollte dieser Mensch ihr antun können - am helllichten Tag mitten auf der belebten Straße?
In der Parkbucht, ein paar Schritte von ihr entfernt, hielt eine Droschke. Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Schritt. Just als sie ankam, verließ ein Fahrgast das Gefährt. Kaum hatte der Mann mit den Füßen den Boden berührt, murmelte Aurelia eine Entschuldigung und kletterte hinein. Ohne nachzudenken rutschte sie auf der Sitzbank zur gegenüberliegenden Tür, öffnete sie, sprang auf die belebte Straße hinaus und konnte nur mit Mühe einen Zusammenprall mit einer vorbeifahrenden Kutsche vermeiden.
Der Mann auf dem Bock erstarrte, als sie so plötzlich auftauchte, setzte zu einem lauten Fluch an, aber sie manövrierte sich bereits durch den dichten Verkehr auf die andere Straßenseite. Aurelia hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte; sie wusste nur, dass sie dieses unheimliche Gefühl, verfolgt zu werden, loswerden wollte.
Atemlos fand sie sich am Henrietta Place wieder, hielt inne, lauschte, ließ den Blick durch die Gegend schweifen. Wieder war nichts Verdächtiges zu entdecken. Langsam verflüchtigte sich ihre Panik, und ihr Herz schlug mehr und mehr im gewohnten Rhythmus. Was, zum Teufel, ist nur in dich gefahren? So angestrengt sie auch nachdachte, Aurelia fiel nicht ein, welche Verrücktheiten in den letzten Minuten von ihr Besitz ergriffen hatten. Jetzt würde sie nicht nur zur Mittagstafel zu spät erscheinen, sie hatte sich auch noch in die vollkommen falsche Richtung geflüchtet.
Heftig schüttelte sie den Kopf, als wollte sie den letzten Rest der Angst loswerden, die sich wie ein Spinnennetz auf sie
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