Süße Fesseln der Liebe
bitte«, hörte Aurelia sich freundlich sagen, »ich begleite Sie zur Tür.«
4
Aurelia schloss die Tür hinter ihrem Gast und ging hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie nahm Fredericks Brief aus dem Schmuckkasten, setzte sich und begann erneut zu lesen; diesmal allerdings weniger leidenschaftlich, denn schließlich kannte sie den Inhalt. Aber jetzt konnte sie zwischen den Zeilen lesen, verstand die volle Bedeutung und konnte versuchen, wirklich zu begreifen, warum ihr Ehemann all das aufgegeben hatte, was er eigentlich in Ehren hielt - wie sie bisher jedenfalls angenommen hatte. Außerdem hatte sie angenommen, dass er sie und ihr Kind liebte. Wie, um alles in der Welt, hatte er in der Lage sein können, nicht nur sich selbst, sondern auch seine Frau zu opfern, sie zu einem Leben als Witwe zu verdammen … zuerst nur zum Schein, jetzt aber in der Realität?
Ihr Leben als Witwe war nicht glücklich. Ja, als Mutter war sie natürlich ausgefüllt, aber trotzdem empfand sie ihr gegenwärtiges Dasein als dürftig und unproduktiv. Vielleicht lag es an ihrer Selbstsucht, dass sie sich beklagte, vielleicht sollte sie sich mit der Mutterschaft zufriedengeben. Trotzdem konnte Aurelia es nur schwer akzeptieren, dass ihr Leben ab jetzt nur noch in diesen Bahnen verlaufen sollte. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie ihre Freundinnen beneidete, die eine neue Liebe gefunden hatten. Nell hatte eine zweite Chance bekommen. Auch Aurelia würde eine zweite Chance in ihrem Leben sehr willkommen heißen. Es machte überhaupt keinen Sinn, es abzustreiten.
Wieder einmal flutete diese merkwürdige Energie durch ihre Adern. Es fühlte sich an wie eine seltsame Mischung aus Aufregung und Angst. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was es ausgelöst hatte, bemerkte aber, wie ihre Wangen sich röteten, spürte die feinen Schweißperlen auf der Stirn, und ihr Herz pochte wie verrückt. War es die Anziehungskraft eines Doppellebens, die nervenzerreißende Aufregung, der Dienst für das Vaterland, die Frederick auf seinen Weg geschickt hatten?
Die zierliche vergoldete Uhr auf dem Kaminsims schlug zur vollen Stunde. Aurelia bemerkte, dass sie mehr als eine halbe Stunde reglos auf dem Sofa gesessen hatte. Der Anflug von Panik verflüchtigte sich, so schnell er gekommen war. Sie schaute hinunter auf den Brief in ihrem Schoß. Niemals würde sie genau erfahren, warum Frederick sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Er hatte ihr gesagt, was er ihr noch hatte sagen können und wollen. Und jetzt war er fort.
Sie faltete den Brief wieder zusammen und legte ihn in den Schmuckkasten zurück. Dann öffnete sie den Wandschrank und durchsuchte ihn nach einem passenden Kleid für die Mittagstafel. Diesmal würde die Unterhaltung weniger ausschweifend sein als üblich. Denn Cecily Langtons Ehemann war Bischof, weltlichen Angelegenheiten allerdings zugewandter als seine Kollegen. Er hatte seine Ehefrau angehalten, sich für wohltätige Zwecke zu engagieren, und sie hatte sich mit vollem Herzen in das Geschäft gestürzt. Sie war dafür berühmt, eine Ablehnung keinesfalls als Antwort zu akzeptieren, wenn sie den weiblichen Teil der Gesellschaft bedrängte, den guten Zwecken Geld, Zeit und Kraft zu spenden. Cornelia, Livia und Aurelia hatten es immer bewundert, wie geschickt Cecily die zögerlichen Spender manipulierte, zu denen sie selbst sich nicht zählten.
Aurelia entschied sich für ein taubengraues Seidenkleid mit einem braunen Samtumhang, in den ein grauer Fellkragen eingearbeitet war. Bescheiden, wie der Anlass es verlangte, aber auch sehr elegant. Das Kostüm hatte bereits mehrere Verwandlungen durchlaufen. Aber trotzdem war sie überzeugt, dass nur ihre engsten Freundinnen es in seiner gegenwärtigen Gestalt wiedererkennen würden. Jetzt war der Umhang unter der Brust mit einem Gürtel aus brauner Seide anstelle der grauen Quasten verziert. Der Pelzbesatz ersetzte den dunkelgrauen Taft, und Volants in dunklerem Grau zierten das Kleid, das jetzt kleine Puffärmel anstelle der Ärmel hatte, die bis über den Ellbogen reichten.
Sie klingelte nach Hester, die nicht mehr nur für die Wäsche und die Näharbeiten zuständig war, sondern zusätzlich noch die Pflichten einer Zofe übernommen hatte. Dann zog sie sich das schlichte Batistkleid aus, das sie für den Spaziergang in die Mount Street getragen hatte.
»Guten Morgen, M'lady.« Hester klang ein wenig atemlos, nachdem sie aus dem Untergeschoss die Treppe bis nach oben gerannt war. »Soll ich
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