Süße Fesseln der Liebe
drehte sich aber sofort um und ließ seinen Blick über sie schweifen, bevor er sich verbeugte. »Guten Morgen, Ma'am.«
»Guten Morgen.« Aurelia kam zu ihm und schaute ebenfalls aus dem Fenster. »Ein frostiger Morgen, wie es aussieht.«
»Ja. Aber es wird bald wärmer werden.«
Greville stand so dicht neben ihr, dass sie die Wärme seines Körpers spüren und die Seife auf seiner Haut riechen konnte. Die Erinnerung an den Kuss durchflutete sie, an den süßen und zugleich salzigen Geschmack, an das Gefühl seiner Lippen auf ihren. War es vielleicht doch möglich, dass es mehr zu bedeuten hatte als nur ein wenig Praxis, um die Umgebung besser täuschen zu können? So hatte es sich jedenfalls angefühlt …
»Hier kommt das Frühstück.« Marys fröhliche Stimme brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Rasch entfernte sie sich von Greville und eilte zum Tisch, nahm die Teller vom Tablett und richtete an.
»Mary, das ist ja ein wahres Festmahl«, erklärte Aurelia und hoffte inständig, dass sie weder errötet war, noch Greville irgendeinen Hinweis darauf gegeben hatte, dass die Erinnerung an den vergangenen Abend sie einen Moment lang fest im Griff gehabt hatte.
»Aye, es sollte reichen.« Mary nickte zufrieden, ließ den Blick über den Tisch schweifen und verließ das Zimmer mit dem leeren Tablett.
»Nun, wie verbringen wir den heutigen Tag?« Aurelia setzte sich und griff nach einem Toast.
Greville schaute zum Fenster. Die Sonne schien bereits kräftiger. »Ich denke, wir werden ein paar Übungen an der frischen Luft machen. Wir sollten das gute Wetter ausnutzen, denn es soll dieser Tage noch viel regnen. Wie üblich. Wir werden uns den Unterricht im Hause für später aufsparen.«
»Welche Übungen?«
»Wir werden mit ein paar Zielübungen anfangen. Anschließend lernen Sie, wie Sie feststellen können, ob Sie verfolgt werden oder nicht. Und zum Schluss werde ich Ihnen ein paar Ausweichmanöver beibringen.«
Das ist der seltsamste Tag, den ich je in meinem Leben verbracht habe, dachte Aurelia in der fahlen Nachmittagsonne. Sie stand auf einem schmalen Weg mitten auf dem Land - allein, wie sie glaubte. War es ihr gelungen, Greville in dem kleinen Dorf, das hinter ihr lag, abzuschütteln? Er hatte sie verfolgt. Obwohl sie ihn nicht erspäht hatte, hatte sie seine Gegenwart gespürt. Aber im Moment spürte sie ihn überhaupt nicht.
Ein verhaltenes Lächeln lag auf ihren Lippen. Es war ihr Geistesblitz gewesen, auf die Ladefläche eines Fuhrwagens zu klettern, der aus dem Dorf rumpelte. Aurelia hatte sich zwischen den Kartoffel-säcken verkrochen. Noch nicht einmal der Fuhrmann, dem es nach seinem Aufenthalt im Gasthaus zugegebenermaßen nicht besonders gut ging, hatte geahnt, dass er einen blinden Passagier dabeihatte. Nachdem sie das Dorf sicher verlassen hatte und der Fuhrwagen über den Feldweg zockelte, war sie von der Ladefläche geglitten. Zum Glück hatte der Kutscher auf dem Fahrersitz gedöst, während die Pferde, ihrem Instinkt folgend, brav nach Hause trotteten.
Aurelia hatte sich das Ziel gesetzt, Greville mit ein paar Tricks auszuweichen und allein zu Mrs. Mashams Farm zurückzukehren, die am Rande des nächsten Dorfes lag und leicht über die schmale Straße zu erreichen war. Trotzdem stand sie wie ein armer Tropf an einer viel befahrenen Straße, schaute sich um und nagte an ihrer Lippe. Sie konnte über den Zaun klettern, die hohen Brombeerhecken überwinden und auf eine Weide gelangen; kaum mehr als eine Minute würde es sie kosten. Wenn sie dann der Hecke folgte, die parallel zum Weg verlief, würde sie mit Sicherheit zur Farm kommen.
Aurelia ließ den Blick nervös über die Weide schweifen, hoffte, dass kein wilder Bulle sie erspäht hatte. Aber nur eine Herde Kühe graste friedlich mitten auf der Weide und beobachtete sie mit der ihr eigenen stumpfsinnigen Neugier. Die Kühe machten ihr keine Sorgen, und ein Bulle war weit und breit nicht in Sicht.
Sie bahnte sich ihren Weg an der Hecke entlang, zog sich den Umhang enger um die Schultern, als ein scharfer Wind über die freie Fläche pfiff. In der Tat, es war ein merkwürdiger Tag gewesen, und jetzt sehnte sie mehr denn je sein Ende herbei. Die Farm durfte kaum mehr als eine Meile entfernt sein, sofern die Hecke sich am Rand der Weide entlang erstreckte.
Aurelia erreichte das Ende der Weide und kletterte über das Gatter in die nächste, eilte immer noch an der Hecke entlang und dachte die ganze Zeit über an ein
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