Süße Fesseln der Liebe
genießen, und ich will dieses zauberhafte Lächeln sehen. Wir werden ausgezeichnet zusammenarbeiten. Das, was heute Nachmittag passiert ist, kann daran nichts ändern. Im Gegenteil. Das ist meine feste Überzeugung. Wirst du mir vergeben?«
»Es gibt nichts zu vergeben.« Und so war es auch. Wenn er nicht über seine Kindheit reden wollte, dann musste sie seine Entscheidung respektieren.
Ein paar Sekunden lang musterte er sie eindringlich, nickte dann, als ob er zufrieden wäre. »Um fünf Uhr werden wir einen Spaziergang im Park unternehmen«, erklärte Greville. Mit Leichtigkeit hatte er erneut seine führende Rolle in ihrem Abenteuer übernommen, öffnete die Tür, blieb aber so stehen, dass er für die Welt draußen auf der Straße verborgen blieb. »Wir treffen uns direkt am Stanhope Gate. Höchste Zeit, dass man uns zusammen sieht.«
»Ich werde dort sein.« Aurelia trat ins Freie, zog die Tür hinter sich zu und ließ den Blick die Straße hinauf- und hinabschweifen. Niemand ihrer Bekannten war zu sehen, und sie machte sich rasch auf den Weg.
Ihre Gedanken waren in Aufruhr. Der herrliche Nachmittag war eine Sache, eine wundervolle Sache … Aber diese Sache hatte ihr den Mann selbst auch nähergebracht. War es vielleicht diese Nähe, vor der er sich ängstigte? War das vielleicht der Grund für seine plötzliche Kälte? Konnte es sein, dass er überzeugt war, die körperliche Nähe könne in ihr die Saat für gefühlsmäßige Fallstricke legen?
Wenn es sich so verhielt, hatte er richtig gehandelt, als er sie davor warnte, dass er niemals über persönliche Angelegenheiten sprach und dass es in der Welt der Spione keinen Platz gab für private Gefühle. Aber trotzdem musste Greville solche Gefühle haben, auch wenn er nicht darüber sprach. Es war unmenschlich, keine emotionalen Regungen zu empfinden und seine persönliche Lebensgeschichte vollkommen auszulöschen.
Hatte seine einsame Kindheit ihm diese Wunden geschlagen? Warum war es ihm zur zweiten Natur geworden, seine Gefühle zu verstecken?
Lag es an den frühen Jahren seiner Kindheit, dass er sich für ein Leben in der einsamen, gefährlichen Welt der Agenten entschieden hatte?
12
Das Fischerboot machte am späten Nachmittag im Hafen von Dover fest. Ein heftiger Platzregen ging auf den Kai nieder. Die beiden Gentlemen, die von Deck des Fischerbootes kamen, hatten ihre Regenschirme aufgespannt. Am Kai stank es nach Fisch und Teer; der Regen verstärkte den Geruch. Aus der weit geöffneten Tür einer Kneipe drang raues Gelächter, eine Dunstwolke aus verschüttetem Bier, Sägespänen und Tabakqualm quoll auf die Straße.
Der größere der beiden Männer betrachtete seine Umgebung durch das Augenglas und gab sich den Anschein strenger Missbilligung. Er war ausgesprochen gut gekleidet, sein Kinn ragte über ein gestärktes und vertrackt geschlungenes Nackentuch; sein dunkler Mantel und die Weste waren aus feinster Wolle gearbeitet. Die Beine steckten in eng anliegenden Kniebundhosen, die Füße in glänzenden Stulpenstiefeln. An der großen, schlanken, athletischen Figur konnte man erkennen, dass er ein Mann war, der kurzerhand zur Tat schritt. Er trug einen gepflegten Bart nach spanischer Tracht, einen hohen Beaver-Hut und einen Spazierstock mit silbernem Knauf.
Sein kleinerer Begleiter war stämmig und glatt rasiert. Das Gesicht war eher rundlich, der schwarze Mantel glanzlos und stumpf, und in den Lederhosen erinnerte er sehr an ein stummes Faktotum. Die beiden Männer schauten sich um, erwarteten offensichtlich ein Empfangskomitee.
Ein Matrose mit zwei Handkoffern erschien auf der Gangway und stellte den Herren das Gepäck umstandslos vor die Füße. »Da habt ihre eure Sachen, Gents.« Er streckte ihnen die raue rußige Hand entgegen.
Der große Gentleman blies die Luft durch die Nase und deutete mit einer herrischen Geste auf seinen Begleiter, der hastig in seine Tasche griff, eine Kupfermünze hervorzog und sie in die geöffnete Handfläche fallen ließ. Der Matrose betrachtete die Münze, spuckte verächtlich dicht neben den glänzenden Stiefeln auf das Kopfsteinpflaster und kehrte auf den Fischkutter zurück.
»Sieht also ganz danach aus, als würden wir nicht erwartet, Miguel.« Der Ton war knapp und ungeduldig, und die Miene des Mannes sah nicht danach aus, als wäre er es gewohnt, dass man ihn stehen ließe.
»Er wird auftauchen, Don Antonio«, versicherte der kleinere Mann und schaute sich um. »Carlos hat noch nie
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