Suesse Hoelle
zwischen dreißig und fünfzig liegen, ihr Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt, doch ihre Haut noch glatt und frisch. Wie die meisten Künstler kleidete sie sich mit dem, was gerade zur Hand war. In ihrem Fall bestand das aus einer abgeschnittenen Jogginghose, einem der Hemden ihres Mannes und dazu Turnschuhe ohne Socken.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand saß Marlie neben Esther und ging mit ihr die Einzelheiten der anzufertigenden Phantomzeichnung durch. Endlose Variationen von Brauen, Nasen, Augengrößen, Lippenschwüngen und Mundbreiten, Kinnformen mussten durchgesehen werden. Marlie konnte die Augen schließen und sah das Gesicht vor sich; doch es auf Papier zu bringen war etwas ganz anderes.
Dane unterbrach sie nicht; seine Gegenwart tat ihr gut, ab und zu füllte er ihre Kaffeetasse. Es war schon beinahe sechs Uhr gewesen, als er nach Hause gekommen war und sie aufgeweckt hatte. Auch wenn er Mitgefühl mit ihr walten ließ, so war doch sein Gesicht grimmig verzogen, als er sie zum Kommissariat gefahren hatte.
»Der Nasenrücken sollte etwas höher sein«, meinte Marlie nachdenklich und betrachtete die letzte Änderung. Sie hatte in der Vergangenheit schon so oft mit Polizeizeichnern gearbeitet, dass sie genau wusste, was man von ihr erwartete. »Und die Augen müssten ein wenig näher zusammen.«
Mit wenigen Strichen nahm Esther die Änderungen vor. »Ist es so besser?«
»Besser, aber noch nicht ganz richtig. Es sind die Augen. Sie sind klein, blicken hart und stehen eng nebeneinander. Außerdem liegen sie tief und haben gerade Brauen.«
»Für mich klingt das so, als sei er ein hässlicher Unmensch«, meinte Esther gedehnt und machte einen neuen Entwurf.
Marlie runzelte die Stirn. Sie war sehr müde, doch zwang sie sich zur Konzentration. »Nein, eigentlich nicht, wenigstens nicht dem Aussehen nach. Ich nehme an, man könnte ihn recht ordentlich aussehend nennen, sogar mit seinem kahlen Kopf.«
»Der Massenmörder Bundy war auch nicht unbedingt ein Scheusal, doch bestimmt kein Traummann. Es zeigt nur einmal mehr, dass man nicht nach dem Äußeren gehen kann.«
Marlie beugte sich vor. Diesmal waren Esthers Korrekturen dem Gesicht in ihren Gedanken näher gekommen. »So ist es gut. Die Stirn sollte noch ein wenig höher sein und die Kopfform ein wenig spitzer - er war nicht so rund.«
»Wohl eher ein Eierkopf, wie?« Einige flinke Bleistiftstriche machten die Änderungen perfekt.
»Stopp. So geht es.« Das Gesicht vor sich auf dem Papier zu sehen machte Marlie ein wenig unsicher. »Das ist er.«
Dane trat hinter sie und blickte auf die fertige Zeichnung. Das also war der Schlächter. Jetzt hatte er ein Gesicht. Jetzt würde man ihn jagen!
»Danke, Esther«, sagte er.
»Gern geschehen.«
Marlie stand auf und streckte sich, es überraschte sie, dass ihre Glieder so verkrampft waren. Trammell, der geduldig im Hintergrund gewartet hatte, trat neben Dane und sah sich die Skizze an. »Ich werde sie verteilen lassen«, sagte er. »Bring du Marlie nach Hause und steck sie ins Bett, ehe sie völlig zusammenbricht.«
»Es geht mir gut«, sagte sie, doch unter ihren Augen hatten sich tiefe Ringe eingegraben, und sie sah mitgenommen aus.
Dane widersprach nicht. »Ich rufe dich später an«, sagte er, legte seinem Liebling einen Arm um die Schultern und schob sie zur Tür. Als sie im Wagen saßen, riss sie ihre Augen weit auf, doch schon vor der zweiten Ampel war sie eingeschlafen.
Wie in der vergangenen Nacht trug Dane sie auch heute wieder ins Haus, legte sie auf das Bett und entkleidete sie. »Gute Nacht, meine Süße«, flüsterte er und beugte sich über sie, um sie zu küssen.
Sie schlang die Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn. »Halt mich heute Nacht bitte fest!«
»Das werde ich. Schlaf jetzt. Morgen fühlst du dich wieder besser.«
Sie lag in seinen Armen, als sie am nächsten Morgen erwachte. Als Dane sah, dass sie die Augen geöffnet hatte, drehte er sie auf den Rücken und begann sie zu liebkosen. Vorsichtig drang er in sie ein und führte sie beide mit sanften Bewegungen zum Höhepunkt der Erfüllung.
Seine Liebe ließ sie sich wieder lebendig fühlen und all das Hässliche in den Hintergrund gleiten. Lange hielten sie einander umschlungen und fanden den Trost, den sie suchten. Schließlich sagte sie: »Erzähl mir von ihr.«
Dane gab ihr einen Kuss auf die Schläfe und zog sie näher an sich, als würde seine Nähe das Entsetzen vertreiben. »Ihr Name war Marilyn
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