Suesse Hoelle
Elrod wohl in der Lage war, noch einmal in diesem Haus zu schlafen oder ob er es verkaufen könnte. Unter Umständen konnte man es an einen der vielen unerfahrenen Schneegeschädigten loswerden, die jedes Jahr aus dem Norden herunter zogen. Marlies Meinung nach müsste man es abreißen.
Sie sah sich in den großen, offenen Räumen mit den hohen Decken um. Das Haus mit seiner Luftigkeit war sicher herrlich zu bewohnen gewesen. Auf den Fußböden im Erdgeschoss lagen entweder polierte Hartholzbohlen oder Designerfliesen. Schweigend wanderte Marlie durch die Zimmer, sie zwang sich zu Ruhe und Entspannung, doch vermochte sie nicht die Angst vor dem ersten Stock zu verdrängen. Leider war ihr unerbittlich klar, dass sie es tun musste.
Wenn sie nur einen oder zwei Tage länger gewartet hätte, hätte sie sich von ihrer Vision völlig erholen können. Vielleicht konnte sie deshalb heute die mentale Tür nicht öffnen, die es ihr erlaubt hätte, die Eindrücke aufzunehmen. Sie warf Dane einen schnellen Blick zu, doch dann verwarf sie den Vorschlag, den sie ihm hatte machen wollen. Er war ihr nicht Schritt für Schritt gefolgt, sondern blieb jedesmal an der Tür stehen, wenn sie durch einen der Räume ging. Sein Gesicht war eine grimmige Steinmaske, so wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er schien eigenartig abwesend zu sein, als hätte er sich von vornherein gegenüber jeder Bitte gewappnet, die sie vielleicht äußern könnte.
»Irgend etwas?« fragte er, als sie aufblickte.
Sie schüttelte den Kopf.
Er drängte sie nicht, riet ihr auch nicht, sich mehr anzustrengen. Ebenso wenig forderte er sie auf, nach oben zu gehen, sondern verlegte sich einfach aufs Warten.
Doch als sie den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, war er neben ihr und nahm ihren Arm. Er sah sie forschend an: Ein Ausdruck, den sie nicht recht deuten konnte, lag in seinem Blick. »Bist du in Ordnung?«
»Ja.« Marlie sprach sich innerlich Mut zu. »Es ist mir nicht gerade ein Vergnügen, aber ich bin bereit.«
»Vergiss nicht«, murrte er, »dass es auch mir nicht gefällt.« Sie warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Das habe ich auch niemals angenommen.«
Dann ging sie nach oben. Er war gleich hinter ihr, mit leisen Schritten und seiner unerschütterlichen Anwesenheit.
Wo hatte der Mörder gelauert, bis Marilyn nach Hause gekommen war? Ihre Vision hatte ihr das nicht gezeigt, sie hatte erst begonnen, als er durch das dunkle Haus gewandert war. Vielleicht hatte er sein Versteck verlassen, als der Strom ausfiel und nistete sich irgendwo ein, von wo aus er sie heimkommen sehen konnte. Marlie blieb im Flur stehen, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die restliche, in ihr noch vorhandene Energie. Vorsichtig öffnete sie die mentale Tür, und eine Woge von Bildern stürmte auf sie ein. Sie schloss die Tür sofort wieder und öffnete die Augen. Viele Menschen hatte sie wahrgenommen, viel Aktivität, zu viele Mordkommissare waren hier gewesen, sie verwischten den Eindruck.
Die Tür am Ende des Flurs stand offen: das betreffende Schlafzimmer! Marlie ging langsam darauf zu, und wieder griff Dane nach ihrem Arm. »Ich habe meine Meinung geändert«, sagte er. »Du brauchst da nicht reinzugehen.«
»Marilyn Elrod brauchte auch nicht zu sterben«, antwortete sie. »Und auch nicht Nadine Vinick oder Jackie Sheets oder all die anderen Frauen, die er umgebracht hat, ehe er hier einfiel.« Sie bedachte ihn mit einem eisigen Lächeln und entzog ihm ihren Arm. »Außerdem bin ich bereits in dem Zimmer gewesen, das weißt du doch. Ich war dabei, als es geschehen ist.«
Mit vier raschen Schritten erreichte sie die Schwelle und blieb ruckartig stehen. Keinen Schritt mehr konnte sie tun, ohne auf die braunen Blutflecken zu treten. Es gab keine Möglichkeit, ihnen auszuweichen - das Blut war überall: auf dem Teppich, an den Wänden, den Laken; doch der größte Blutfleck befand sich neben dem Bett, wo Marilyn Elrod ihr Leben schließlich lassen musste Aber sie hatte gegen ihn gekämpft, im ganzen Raum, ihr Blut war Zeuge. Ungefähr zehn Duftkerzen in kleinen gläsernen Töpfchen standen auf der Kommode, in diesem Spiegel hatte Marlie den Mörder gesehen - durch seine eigenen Augen.
Sie musste die mentale Tür erneut öffnen, vielleicht konnte sie noch etwas herausfinden, das bis jetzt unzugänglich gewesen war. Marilyn hatte diesen letzten Versuch verdient.
»Sprich jetzt bitte eine Minute lang nicht mit mir, okay?« bat sie Dane inständig. »Ich
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