Suesse Hoelle
seine Beretta, aber da er nicht in offizieller Mission reiste, hatte er sie widerwillig zu Hause gelassen. Ganz ohne Waffe wollte er indessen auch nicht reisen; daher staffierte er sich mit einem Taschenmesser aus, das nur wenig größer als normal war und auf den ersten Blick gar nicht ungewöhnlich aussah. Doch es hatte nur eine einzige Klinge, und zwar aus einer Legierung, die stärker als Stahl war. Das Messer besaß eine perfekte Balance, und das war nötig für ein Wurfmesser. Ein Messer zu werfen, stellte ein unauffälliges Talent dar, von dem niemand etwas wusste - er hatte es sich selbst beigebracht, weil er sich dessen Nützlichkeit vorstellen konnte. Das Messer war natürlich nicht so effektiv wie eine Pistole, aber besser als gar nichts.
Flugzeuge machten ihn immer nervös. Es war nicht das Fliegen selbst, sondern die Tatsache, in einem so kleinen Raum mit so vielen fremden Menschen zusammengepfercht zu sein. Alte Gewohnheiten ließen sich nicht so leicht abschütteln, es gelang ihm nicht, eine Grenze zu ziehen zwischen Arbeit und Freizeit. Überall blieb er derselbe Mann. Das bedeutete, dass er automatisch die Menschen um sich herum beobachtete, unbewusst jedes eigenartige Benehmen registrierte, dass er das Äußere der Menschen taxierte und ständig die Situation im Auge behielt. Auch wenn das lästig war, konnte er nicht anders. Sobald er mit der Vorsicht leichtfertig umginge, würde etwas Schlimmes passieren, das war ein ungeschriebenes Gesetz.
Er hatte den ersten Flug am Morgen genommen. Und weil zwischen Orlando und Colorado ein Zeitunterschied von zwei Stunden lag, kam er noch vor dem Mittagessen in Denver an. Da er ohne Gepäck reiste, brauchte er nur zu dem Autoverleih zu gehen und sich für den Tag einen Wagen zu mieten. Boulder lag ungefähr fünfundzwanzig Meilen nordwestlich von Denver, immer die Interstate geradeaus.
Am Ziel angekommen, suchte er die Adresse des Institutes heraus und fragte nach dem Weg. Schließlich war es halb eins, als er dort eintraf. Es gab keine Zäune, keine Schranken, mit den Augen des Polizisten stellte er fest, dass die Sicherheitsmaßnahmen zu wünschen übrigließen. An der Tür gab es eine Alarmanlage, stellte er fest, aber selbst ein drittklassiger Einbrecher würde damit fertig. INSTITUT FÜR PARAPSYCHOLOGIE stand auf der großen Glastür. Er stieß sie auf und bemerkte, dass seine Ankunft nicht einmal durch eine Glocke oder sonst einen Ton angekündigt wurde. Es sah aus, als könne hier jeder hereinspazieren.
Ungefähr zwanzig Fuß weiter stand auf der linken Seite die Tür zu einem Büro offen. Dane trat näher, stand dann einen Augenblick im Rahmen und betrachtete schweigend eine nette Frau mittleren Alters; sie saß vor einem Computer und schrieb einen Brief, während sie sich völlig auf das konzentrierte, was aus dem Diktiergerät drang, dessen Kopfhörer sie über die Ohren gestülpt hatte. Dane räusperte sich, und sie sah auf; wie Sonnenschein erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. »Oh, hallo. Warten Sie schon lange?«
»Nein, ich bin gerade erst gekommen.« Sie hatte ein sehr freundliches Gesicht, und Dane erwiderte ihr Lächeln. An diesem Ort schien man genauso wenig förmlich zu sein, wie man auf Sicherheit achtete. »Ich bin Dane Hollister von der Polizeibehörde in Orlando. Kann ich bitte Professor Sterling Ewell sprechen?«
»Ich sage ihm, dass Sie hier sind. Er erwartet Sie, deshalb hat er sich heute das Mittagessen mitgebracht und ist nicht ausgegangen.«
Dane musste lächeln über diese ungekünstelte Antwort. Die braunen Augen der Frau blitzten. »Er ist mein Mann«, vertraute sie ihm an. »Wenn ich es will, kann ich ihn ganz schön tanzen lassen, auch wenn er sich den Teufel darum schert.« Sie nahm den Telefonhörer und wählte eine Nummer. »Sterling, Detektiv Hollister ist hier... Okay!«
»Gehen Sie in sein Büro. Ich würde Sie selbst hinbringen, aber heute ersticke ich in Arbeit. Gehen Sie den nächsten Flur nach rechts, sein Zimmer ist ganz am Ende.«
»Danke.« Dane zwinkerte ihr noch einmal zu, ehe er ging. Zu seiner Belustigung zwinkerte sie zurück.
Professor Ewell war ein großer Mann mit breitem Brustkorb und dichtem weißen Haar. Seinem zerfurchten Gesicht sah man die Jahre an, die er mit Würde trug. Genau wie seine Frau schien er ein offener Mensch zu sein, der ebenfalls nicht viel von Formalitäten hielt. Er trug eine ausgebeulte Hose und ein verwaschenes Hemd, dazu abgewetzte Stiefel an den Füßen. Dane fühlte
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