Süße Küsse nur aus Rache?
kam vollkommen ohne Make-up aus. Sie hatte keinen Lippenstift und keinen Lidstrich nötig. Sie war eine ganz eigene Schönheit, egal, welchen Namen sie sich gerade zulegte. Wieder spürte er, wie dieses seltsame Gefühl sich in ihm breitmachte.
Reglos saß sie ihm gegenüber und schwieg beharrlich. Als ob er kein Wort gesagt hätte.
Ein anderes Gefühl begann in ihm zu prickeln – es war ihm bereits vertraut. Sie grenzte ihn aus, als ob es ihn gar nicht gäbe. Das ärgerte ihn. Seine Finger verkrampften sich um das Besteck in seinen Händen. Er wollte nicht, dass sie ihn wie Luft behandelte. Er wollte nicht, dass sie so reglos dasaß, ohne ihn zu beachten.
Er hatte schließlich anderes mit ihr erfahren dürfen. Auch wenn sie unter seinen Händen wie erstarrt gewesen war, während er sie berührt, sie geküsst hatte. Für eine Weile geisterte diese unauslöschliche Erinnerung durch seinen Kopf. Er hatte die Weichheit ihrer Haut entdeckt, ihre Gesichtszüge ertastet, die Wärme ihrer Lippen gespürt.
Solche Gedanken – wahrhaftig und lebendig – beschäftigten ihn, als sein Blick nun beim Essen auf ihr ruhte. Wieder durchströmte ihn dieses unwiderstehliche Gefühl. Er konnte nichts dagegen tun.
Angelos unterbrach den Fluss seiner Gedanken, Erinnerungen und Gefühle und hob sein Glas. Sie war noch dabei, ihr Essen zu genießen.
„Also“, begann er und setzte sein Glas wieder ab. Er hatte große Mühe, seine wirren Gedanken unter Kontrolle zu bringen. „Haben Sie den kleinen Spaziergang heute Nachmittag genossen?“
Thea führte ihre Gabel zum Mund. „Ja.“ Sie hatte sich vorgenommen, ehrlich in diesem Punkt zu sein. Warum sollte sie auch nicht, wenn er – aus welchem unerklärlichen Grund auch immer – gesittete Konversation mit ihr machen wollte? Was der Grund dafür war, weshalb sie sich überhaupt hier befand, lag jenseits ihrer Vorstellung. Und bestimmt auch jenseits ihres Wollens. Doch hatte sie eine andere Chance?
„Sie sahen aus, als hätte es Ihnen gefallen“, meinte er bedächtig. Vor seinem geistigen Auge sah er sie wieder vor sich, wie sie im Schutz der Felsen stand, den Ausblick bestaunte und beobachtete, wie die Adler ihre Freiheit genossen. Ruhig. Beherrscht. Beinahe kontemplativ.
Als sei sie schon immer in der Bergwelt daheim gewesen.
„Beim nächsten Mal werden wir eine längere Strecke versuchen. Aber morgen machen wir es uns eher gemütlich. Wir werden unten vom Dorf aus mit der Seilbahn in das Restaurant fahren, das oberhalb des Skigebiets liegt. Es hat auch im Sommer geöffnet. Auf dem Gletscher oben ist auch Sommerskifahren möglich.“
Thea hob den Kopf. „Ich habe noch nie einen Gletscher aus der Nähe gesehen.“
Ihre Stimme drückte Interesse aus. Spontanes, ungekünsteltes Interesse.
„Gletscher sind ein echtes Naturphänomen“, erläuterte Angelos. „Riesige Eisströme, die sich unendlich langsam, doch kraftvoll bewegen. In grauer Vorzeit waren sie jedoch Rennläufer im Vergleich zum Wachstum der Gebirge. Die Alpen sind im Vergleich zu anderen Gebirgsketten die reinsten Grünschnäbel – eine der jüngsten Berglandschaften auf der Erde.“
Gespannt lauschte Thea. Angelos schien ein starkes Interesse daran zu haben, ihr Dinge zu erklären. Er fuhr fort und sprach über tektonische Platten, vulkanische Aktivitäten und das Entstehen von Gebirgen im Allgemeinen. Nach einer kurzen Pause ertappte sie sich dabei, wie sie zugab: „Sie wissen eine ganze Menge über diese Entstehungsgeschichte.“
Sein Gesichtsausdruck änderte sich. „Ich wollte früher einmal Geologie studieren“, sagte er.
Sie war überrascht. Angelos Petrakos ein Geologe?
„Und warum haben Sie es nicht gemacht?“, fragte Thea kurze Zeit später nach.
„Es lag einfach nicht im Bereich des Möglichen“, erklärte er. „Jemand musste die Firmen übernehmen. Es war das Lebenswerk meines Vaters. Mir wurde zusammen mit dem Erbe auch eine große Verantwortung übertragen. Ich beschäftige sehr viele Leute, deren Leben und deren Familien von mir abhängen. Ich kann nicht einfach so tun, als existiere das alles nicht, und machen, was ich will. Nur ab und zu – so, wie jetzt – reise ich hierher in die Berge. Ganz für mich allein.“
Er legte die Stirn in Falten, als überdenke er seine Worte. Denn er war schließlich nicht allein hier.
Frauen hatten für gewöhnlich keinen Platz hier oben. Das Chalet war nur für ihn allein gedacht. Ein Ort des Friedens und der Erholung von den
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