Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
zurückzuziehen.
„Harley, haben Sie dem Mann eine Nachricht geschickt?“ David schlenderte in das Studierzimmer und löste sein Krawattentuch. Auf dem Schreibtisch fand er die Papiere mit dem Namen des Mannes, den man ihm empfohlen hatte, sollte er diskrete Nachrichten über jemanden einziehen wollen.
„Jawohl, Mylord. Er sollte gegen halb zwei kommen.“ Harley musterte ihn und rümpfte leicht die Nase. „Ich werde Ihnen ein Bad bereiten und frische Wäsche herauslegen.“
David nickte nur und setzte sich. Diskretion war im Moment das Wichtigste, und er begrüßte es, dass Ellerton schon zum Jagdsitz vorausgefahren war, um ihn dort mit ihrem gemeinsamen Freund Jonathan Drake, dem Earl of Hillgrove, zu erwarten. In der Zwischenzeit konnte er in aller Ruhe ein ganz bestimmtes Ziel verfolgen – nämlich einen gewissen Mr. A. J. Goodfellow aufzuspüren.
Und mehr über die liebreizende Miss Fairchild zu erfahren.
Es war ihm nicht klar, woher dieser Gedanke kam. Verwundert schüttelte David den Kopf. Die Frau, die Nathaniel zu seiner Gattin machen wollte, ging ihn nichts an.
Er erinnerte sich an die dunkelbraunen Augen, die empört blitzten, als er sie so knapp, ja fast unhöflich abfertigte. Sie hatte sich benommen, als gehöre ihr das Büro, und indigniert die Lippen zusammengepresst, weil er ihr nicht den Grund für seinen Besuch nennen wollte.
Miss Fairchild konnte man kaum schüchtern nennen, und obwohl er sich nicht leisten konnte, sich von seinem Ziel ablenken zu lassen, wusste David, dass ihre Anwesenheit seinen Ausflug nach Edinburgh erheblich versüßen würde.
5. KAPITEL
Anna hätte eigentlich nicht überrascht sein dürfen über den Wetterwandel. Der Nordwind fegte durch die Straßen, dass sie fürchtete, er würde ihr den Hut vom Kopf reißen. Heute hatten sich dicke Wolken über der Stadt zusammengeballt und drohten Regenschauer an, die ihr den Weg erschweren und mehr in die Länge ziehen würden, als ihr lieb war.
Sie entdeckte Mr. Archer am Beginn der North Bridge, kaum dass sie in die Straße zum Büro eingebogen war. Trotz des Windes sah er makellos und gepflegt aus. Es kam ihr fast so vor, als warte er auf sie. Aber warum sollte er das tun? Und noch wichtiger, sollte sie an ihm vorbeigehen oder ihn zur Kenntnis nehmen?
Einen Moment blieb sie stehen, um ihren Hut zurechtzurücken, und überlegte, wie sie die Sache am besten angehen sollte. In den vergangenen zwei Tagen war Nathaniel jeder Frage über Mr. Archer auf eine so beiläufige Weise ausgewichen, dass jeder andere sich von seiner Gleichgültigkeit hätte überzeugen lassen. Doch Anna kannte ihn besser. Nathaniel wollte aus irgendeinem Grund ihre Neugier über diesen Engländer und seine Verbindung mit der „Gazette“ im Keim ersticken. Die Möglichkeit, ihn einfach zu übersehen, kam nicht mehr infrage, da er in diesem Moment direkt vor ihr erschien.
„Miss Fairchild“, sagte er. Der höfliche Ton seiner tiefen Stimme ließ nichts von der recht unbehaglichen Stimmung ihrer ersten Begegnung ahnen.
„Mr. Archer.“
„Ich wusste gar nicht, dass der Wind hier solche Ausmaße annehmen kann.“ Er zog den Hut tiefer in die Stirn und lächelte. Sein Lächeln milderte den ernsthaften Ausdruck seiner Augen.
„Sie sind also das erste Mal in Edinburgh?“
Er zögerte nur kurz, bevor er antwortete. „Nein, nicht das erste Mal, aber das erste Mal seit sehr langer Zeit.“ Dann wandte er sich ab und schaute die Princes Street hinunter. „Sind Sie auf dem Weg zur ‚Gazette‘?“
Es gab keinen Grund, warum sie das Gefühl haben sollte, sie müsse irgendetwas vor ihm verbergen, also nickte Anna. „Ja. Und Sie?“
„Ich auch. Darf ich Ihnen meine Begleitung anbieten? Bei diesen kräftigen Windböen könnten Sie vielleicht meine Hilfe brauchen, um nicht auf die Straße geweht zu werden.“
Anna wollte schon versichern, dass sie auch allein zurechtkam, als ein besonders heftiger Windstoß ihr den Hut vom Kopf fegte. Nur durch Mr. Archers schnelles Eingreifen wurde sie davor bewahrt, hinter dem Hut herlaufen zu müssen. Sie nahm ihn dankend entgegen und legte Mr. Archer ohne weitere Einwände die Hand auf den Arm.
„Vielleicht könnten Sie mich ja mit der New Town vertraut machen, während wir weitergehen“, schlug er vor. „So viel hat sich verändert seit meinem letzten Besuch.“
Während sie die Princes Street weiterschlenderten, wies Anna also auf die Geschäfte hin, die sie häufig aufsuchte, sowie auf die Häuser, die
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