Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
Hobbs-Smith. Nathaniel weiß von meiner Verbindung mit Lord Treybourne.“
Natürlich. Nathaniel kannte ihn. Sie durfte nicht allein Mr. Archer die Schuld an dieser Sache geben, denn Nathaniel hätte sie davon unterrichten müssen. Wie es seine Gewohnheit war, hatte er wieder versucht, sie vor den Tatsachen des Lebens zu schützen. Ungeduldig stieß sie den Atem aus.
„Warum sind Sie hier?“
„Welcher Art ist Ihre Verbindung zur ‚Gazette‘?“, konterte er. Als sie nicht sofort antwortete, lehnte er sich zurück und legte ein Bein über das andere, wodurch Anna auf seine muskulösen Schenkel aufmerksam wurde. Hastig wandte sie den Blick ab und konzentrierte ihn stattdessen auf sein Gesicht.
„Sehen Sie“, sagte er, „im Grunde und ungeachtet der Stunden, die wir in der vergangenen Woche zusammen verbracht haben, sind wir nur Fremde füreinander, Miss Fairchild. Und einem Fremden gegenüber enthüllen wir uns nur bis zu einem bestimmten Punkt.“
Er hatte selbstverständlich recht. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie und Nathaniel gleichberechtigte Partner bei der Leitung der „Gazette“ waren, aber sie konnte ihm einen flüchtigen Blick in ihre Gedanken gestatten.
„Ich unterstütze die Grundsätze, die die ‚Gazette‘ vertritt, Sir. Soziale und politische Reform und Hilfe für all jene Menschen, die vom Schicksal benachteiligt wurden. Als langjährige Bekannte und Familienfreundin Nathaniels tue ich alles, was in meiner Macht steht, um ihm bei der Verfolgung dieser Ziele zu helfen.“
„Aha, Miss Fairchild. Also sind Sie nicht nur ein Blaustrumpf, sondern auch eine Liberale?“
Anna zögerte, doch im Gegensatz zu vielen Bekannten, die diesen Ausdruck wie eine Beleidigung benutzten, schien Mr. Archer ihn mit Respekt auszusprechen.
„Jawohl, Sir, und ich bin stolz auf das eine wie auf das andere“, erwiderte sie und hob unwillkürlich das Kinn.
Sie war hinreißend!
Wie sie dort saß und ihm mutig die Stirn bot, musste er an sich halten, um sie nicht in die Arme zu reißen und zu küssen, bis ihr der Atem ausging. Miss Anna Fairchild ließ sich nicht vergleichen mit den einfältigen jungen Damen des ton in London. Sie machte sich Gedanken über die ernsten Dinge des Lebens und verwendete ihre Zeit nicht allein auf modische und gesellschaftliche Ereignisse.
Alle Einzelheiten, die er inzwischen über sie und ihr Leben erfahren hatte, zusätzlich zu ihren Ansichten, die den seinen so ähnlich waren, ließen Respekt für sie in ihm aufkeimen. David erkannte dieses Gefühl und wusste, dass es in Verbindung mit der nur allzu offensichtlichen Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, sehr gefährlich für ihn werden konnte.
„Da Sie mir vertrauensvoll entgegengekommen sind, möchte ich nicht zurückstehen. Ich bin im Auftrag Lord Treybournes hier und soll die Identität des Mannes herausfinden, der zurzeit Artikel unter dem Namen A. J. Goodfellow verfasst. Da ich nicht immer mit den Ansichten konform gehe, die Lord Treybournes Artikel vertreten, wollte ich hier ein Einverständnis zwischen den beiden Gentlemen zu erreichen versuchen. Das Einverständnis, wieder zu dem anfänglichen Ton zurückzukehren, mit dem der Diskurs begann.“
Miss Fairchild konnte ihr Erstaunen nicht verhehlen, und David fürchtete schon, dass sie die ganze Wahrheit hinter seinen Ausflüchten sehen würde. Keins seiner Worte war gelogen, und dennoch zeigten sie die Dinge nicht, wie sie wirklich waren. Gefangen zwischen seinen eigenen Überzeugungen und den drängenden Forderungen seines Vaters, hatte er gehofft, die Angelegenheit mit Goodfellow klären zu können. Wenn sie beide den beißenden Ton ihrer Artikel abschwächten, jedoch zu ihrer Meinung standen und sie in ihrer jeweiligen Zeitschrift veröffentlichten, würden beide nur Vorteile davon haben. Und so war ihm die Idee, unter falschem Namen nach Edinburgh zu kommen, als die beste Lösung erschienen.
Doch nun, da er in Miss Fairchilds Augen blickte und aus rein persönlichen Gründen mehr über sie erfahren wollte, erkannte er, dass er sich geirrt hatte. So wild, wie sein Herz klopfte, kamen ihm Zweifel, ob er überhaupt noch in der Lage war, sang- und klanglos die Stadt zu verlassen.
„Wenn ich an den Artikel denke, den ich gerade las, scheint es eher, dass Lord Treybourne Ihre Bemühungen in dieser Hinsicht nicht sehr zu schätzen weiß.“
„Er kann sehr dickköpfig sein, Miss Fairchild. Man muss ihn geschickt mürbe machen, um seine Zustimmung zu
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