Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
gelegt und offensichtlich fest schlafend. Der Geruch nach Whisky erfüllte den Raum. Nachdem seine ersten drei Versuche, ihn zu wecken, nichts gefruchtet hatten, wurde David klar, dass sein Freund stockbetrunken war. Der vierte, etwas kräftigere Versuch schien Nate allerdings ein wenig aus seiner Benommenheit zu rütteln.
„Lasst mich in Ruhe!“, stöhnte er.
„Nate, wach auf!“ David packte ihn wieder bei den Schultern und wartete darauf, dass er die Augen öffnete.
Nathaniel blinzelte angestrengt.
„Du bis’ es!“, ächzte er und entzog sich Davids Griff.
„Ja, ich bin es. Konzentriere dich bitte auf meine Worte, Nate. Hast du mit Miss Fairchild über mich gesprochen?“
„Ja“, kam die knappe Antwort. „Sie wollte ja über nichs anneres sprechen“, lallte er. „Nur über dich.“ Nate öffnete einmal das eine Auge, dann das andere, als wäre es zu schwierig, mit beiden gleichzeitig zu sehen.
„Du bist sternhagelvoll!“
„Wegen Anna.“ Ein lauter Rülpser entfuhr ihm und dann noch ein Stöhnen. „Sie ist ein wahrer Teufel.“
„Was hat sie über mich gesagt?“, fragte David.
„Sie sagte …“ Er hielt inne, lehnte sich zurück und brachte es dieses Mal sogar fertig, beide Augen gleichzeitig zu öffnen. „Sie denkt, du has’ ein Gewiss’n …“ Mitten im Satz schlief er wieder ein.
„Ja? Hat sie das gesagt?“ David schüttelte seinen betrunkenen Freund. „Was genau hat Miss Fairchild gesagt, Nate?“
Nathaniel hob den Kopf.
„Du hast mein Gewissen erwähnt“, drängte David.
„Das hat sie nur gesagt, weil …“ Er hielt wieder inne und sah sich um, als wolle er sichergehen, dass sie wirklich allein waren. „Weil sie nich’ weiß, dass du du bis’.“
„Warum hast du ihr dann nicht die Wahrheit verraten?“, fragte David, obwohl er wusste, wie unklug es war, sein Glück herauszufordern.
Nathaniel setzte sich abrupt in seinem Sessel auf, und einen Moment lang glaubte David, dass er ihm seine Trunkenheit nur vorgespielt hatte.
„Es würde ihr das Herz brechen, Trey, und so etwas kann ich nicht zulassen.“
David war sprachlos. Nate liebte sie. Das erklärte sicherlich einiges und beantwortete auch gewisse Fragen, die er sich noch gestellt hatte.
„Mach dir also keine Gedanken. Das Geheimnis des Earls ist bei mir sicher.“
Ohne Vorwarnung fiel sein Freund wieder vornüber auf den Schreibtisch und fing an zu schnarchen. Dieses Mal unternahm David nichts, um ihn zu wecken, sondern wandte sich ab. Er kannte das Bedürfnis, besagte junge Dame zu beschützen, sehr gut. Denn trotz aller Gründe, die es ihm verboten, teilte er diesen Wunsch mit seinem Freund.
Es hatte während ihres Ausflugs zum Schloss begonnen und sich heute sogar noch verstärkt, als er ihr Entsetzen über die Gefahr sah, die seine Anwesenheit für die Menschen und Ziele bedeuten könnte, die ihr so sehr am Herzen lagen. David spürte, wie auch er in dieselbe Falle zu tappen drohte wie Nate – da Miss Fairchild sich um jeden Sorgen machte außer um sich selbst, machte er sich Sorgen um sie .
Die Erkenntnis erschreckte ihn. Solche Verwicklungen konnte er sich nicht leisten. Seine Anwesenheit in Edinburgh hatte einen bestimmten Zweck, und sobald er den erfüllt hatte, würde er wieder sein normales Leben führen und seine Arbeit fortsetzen. Er spielte nicht mit unschuldigen Frauen. Er brach keine Herzen. Wenn er etwas aus dem Debakel seiner Vergangenheit gelernt hatte, dann, dass er unschuldigen jungen Damen aus dem Weg gehen musste – also auch Miss Anna Fairchild.
Seufzend setzte David den Hut auf und verließ das Büro, entschlossen, seine Suche so bald wie möglich zu einem Ende zu bringen und Edinburgh zu verlassen, wie von Anfang an geplant. Er schloss lautlos die Tür hinter sich, um Nate nicht zu wecken, und nickte Mr. Lesher auf dem Weg nach draußen noch zu. Als er dann in die Kutsche stieg, die auf ihn wartete, machte er sich klar, dass er Vorsicht walten lassen musste. Miss Fairchild war eine kluge Frau und würde einen unvorsichtigen Fehler seinerseits nicht so leicht übersehen.
10. KAPITEL
„Hat er geantwortet, Clarinda?“
„Nein. Wie du mich gebeten hast, schickte ich die Einladung absichtlich spät, damit er keine Zeit haben würde abzusagen.“
Anna sah sich im Parkett des Theatre Royal nach Mr. Archer um. Die Vorstellung sollte jeden Augenblick beginnen, er war aber nirgends zu sehen. Andererseits betrat man Clarindas Loge durch den hinteren Teil, und so konnte er
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