Sueße Prophezeiung
Marcus’ Körper dringen hörte. Unter Stöhnen wurde er nach hinten gegen das Bett geschleudert, wo er niedersank und bewegungslos inmitten der Stoffbahnen liegen blieb.
In den Sekunden, die folgten, wiederholte sich nur ein Gedanke in Avalons Geist. Nein, nein, oh Gott, bitte, nicht – ein stiller Schrei der Abwehr! Doch er war getroffen und schwer verletzt. Dieses Mal musste er nicht etwas Schlimmes vortäuschen.
Avalon krabbelte zu ihm und legte sich schützend über seinen Körper. Sie spürte nur eine allumfassende kalte, stechende Taubheit.
Marcus atmete noch. Aber sein Atem ging flach und schnell.
»Avalon.« Er war kaum zu hören. Ihr Name drang wie ein schwacher Seufzer über seine Lippen. Doch da war noch etwas anderes, das von ihm ausging, mit einer kräftigeren Wirkung als seine Stimme hatte ...
Avalon, ich liebe dich. Lauf weg ...
Und dann nichts mehr. Sie spürte, wie neblige Schatten ihn umhüllten.
Sie konnte nichts sehen in diesem Dunkel. Die Fackel war zu weit weg, um ihr von Nutzen zu sein, und der Tod zu nah. Die Gefahr empfand sie als so mächtig, dass sie sie zu überwältigen drohte. Sie würde ihr das ganze Blut absaugen und sie leer und allein zurücklassen. So teilte sie das Schicksal von Marcus, den auch bald der Tod ereilen würde. Sie konnte es nicht zulassen. Himmel, seine grässliche Verletzung blutete fürchterlich, ein heißer Strom floss aus ihm heraus. Wie sollte sie den aufhalten ...
Über die Schreie von draußen hinweg hörte Avalon, wie Claudia sich in den finsteren Schatten bewegte und geübt einen neuen Pfeil in die Armbrust spannte, obwohl es kein Licht gab. Mit einem leisen Klicken schnappte der Pfeil ein und jagte Avalon damit einen weiteren Schauder über den Rücken. Es war das Geräusch, das das Ende ihres Lebens einläutete.
Ihre Hände hatten den zweiten Pfeil in Marcus gefunden. Er steckte hoch oben in seiner Brust, oberhalb seines Herzens, aber tief genug, um diese Ströme von Blut zu erzeugen. Sie wusste, dass sie den Pfeil nicht herausziehen durfte. Stattdessen drückte sie auf die Wunde, um den Blutfluss zu stoppen, und erwartete den nächsten Schuss, der sie treffen würde. Aber sie konnte sich nicht von Marcus trennen und ihn sterben lassen.
Ich gehöre dir!
Claudia war es, die jetzt Gefahr und Tod brachte. Die Schatten bargen ihr Tun. Avalon sah keine Möglichkeit, gegen sie zu kämpfen; sie würde sie nicht aufhalten, würde sie niemals rechtzeitig zu fassen bekommen, um ihren Ehemann zu retten, der langsam unter ihren Händen verblutete. All ihr Training, alle ihre Fähigkeiten nützten ihr in diesem endgültigen Moment nichts; denn Claudia war zu weit weg, um sich auf sie zu stürzen, und zu schnell mit ihrem Pfeil. Es gab keine Nische, wo sie sich hätte verstecken können. Marcus würde sterben, und zwar durch ihre Schuld. Einzig und allein ihre Schuld ...
Benutze mich!, befahl die Stimme.
Die Dunkelheit toste von Lärm, unbeschreibliche Laute drangen aus der Finsternis, wütende Schreie hinter der Tür, das Krachen der Tür unter den Schlägen und – sie vernahm es deutlich – ein Lachen. Claudia lachte und andere Stimmen, in denen abgrundtiefe überbordende Boshaftigkeit mitklang, fielen ein.
Ich gehöre dir!
Kobolde, Blut, Gefahr, kalter Stein. Der Raum war zu groß. Avalon konnte sich nicht verbergen. Jetzt würde sie sterben. Genau wie ihr Vater und Ona und alle anderen vor ihr, deren Blut immer noch nicht ausgereicht hatte. Dieses klebrig süße Blut. Ihr eigener Tod war jetzt so nah, lachte über sie ...
Schritte näherten sich. Ein seltsam huschender Gang im Geraschel der Gewänder. Das Lachen war neben ihr und deutlicher zu hören. Alle Stimmen wurden lauter und verbanden sich zu einem langen, anhaltenden Schrei.
Bis auf eine!
Die Stimme der Chimäre gab es nicht mehr. Sie war verstummt.
Benutze mich. Ich gehöre dir, sagte diese andere Stimme und endlich verstand Avalon, wer es war.
Ich bin du.
16
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Avalon merkte, dass sie mit gesenktem Kopf auf dem kalten Boden kniete und ihre Hände immer noch auf Marcus’ Wunde presste. Ihre Finger waren warm vom Blut. Aber all dies schien gerade einer anderen Frau zu widerfahren, die in einem Albtraum gefangen war. Eine Frau, deren Haar wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit loderte und die vor ihrem sterbenden Geliebten kauerte.
Momentan beschäftigte Avalon nur eins: jener Traum, der von den Kobolden gehandelt hatte.
Macht, dachte Avalon und prüfte die Stärke ihrer neuen
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