Sueße Prophezeiung
sowie die Bahnen des Vorhangs, die sich um ihre Knöchel gewickelt hatten. Aber sie hatte da noch etwas im Ohr, den Besitzer dieser Stimme, ein Missklang in diesem Drama, das Avalon nicht deutlich genug hörte, um es zu verstehen ...
»Wenn Ihr noch nicht bereit seid, mich zu töten, warum habt Ihr dann mit dem Pfeil auf meinen Rücken geschossen?«, fragte sie, und ihre eigene Stimme erschien ihr schleppend, gefangen in ihrem Traum.
»Ich habe nicht auf Euch geschossen, sondern auf Euren Ehemann. Und ich habe ihn auch getroffen, als die gute Schützin, die ich bin.«
»Wie auch Bryce entdecken durfte«, sagte Avalon, immer noch weit entfernt davon, überrascht zu sein.
Jetzt konnte Avalon das Lächeln sehen, das Claudias Lippen in einer Mischung aus Befriedigung und Stolz kräuselte.
»Ich dachte«, meinte Claudia genüsslich, »dass ich Euch erlauben sollte zu leiden, bevor Ihr sterbt. Das erscheint mir angemessen. Denn Ihr habt mich mit Sicherheit genug leiden lassen. Ich werde Euch ganz langsam töten, Stück für Stück erschießen. Aber Bryce – mein lieber, dummer Bryce – war eine größere Unannehmlichkeit als alles andere. Deshalb habe ich darauf geachtet, dass der Schuss, der ihn traf, sauber war. Er hat nie erfahren, was passiert ist.«
»Wie überaus freundlich von Euch.«
»Ja, nicht wahr?«
Von der anderen Seite der verriegelten Tür ertönten gedämpfte Schläge. Männerstimmen drangen hindurch und nahmen an Lautstärke zu, während das Hämmern energischer wurde. Claudia schlenderte ein paar Schritte von der Tür weg und entfernte sich von den Geräuschen, wobei sie ihr Ziel nicht aus den Augen ließ und Avalon fest im Blick behielt.
»Ich pflegte es zu beklagen, Cousine Avalon, dass Ihr mein ansonsten hervorragendes Gemetzel überlebt habt. Tausendmal schrie sie: ›Oh, warum ist sie damals nicht gestorben?‹ Es bereitete mir großen Schmerz, müsst Ihr wissen, dass Ihr noch am Leben wart. Das hat wirklich alle meine wichtigsten Pläne durchkreuzt.«
In ihrem Traumzustand konnte Avalon spüren, dass Marcus’ Herzschlag kräftiger und kräftiger wurde. Er musste jetzt wach sein und sicher zuhören. Das machte die Situation für sie noch schwieriger, denn jetzt hatte sie beide, ihn und Claudia, unter Kontrolle zu halten. Eine weitere Belastung ihrer Sinne.
Benutze mich, flüsterte die neue Stimme jetzt ein bisschen näher.
»Zumindest starb Euer Vater. Das war ein großer Erfolg für mich. Bryce erbte die Burg, die Ländereien, die Gutshöfe. Nun ja, bis Ihr wieder aufgetaucht seid. Alles war perfekt, bis Ihr wieder aufgetaucht seid!«
Die Tür zitterte sichtbar unter der Wucht der Stöße. Hätte nicht der schwere Balken fest in seiner Verankerung gelegen, wäre sie mittlerweile längst eingeschlagen worden.
»Aber Ihr habt Warner geliebt«, übertönte Avalon den Lärm, um damit Claudias Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weg von der Tür, weg von Marcus.
»Es gab keinen Grund, Bryce’ Ermordung zu überstürzen, solange Ihr noch am Leben wart«, setzte Claudia ihr auseinander. »Zumindest dachte ich das über Jahre hinweg. Warner und ich konnten so weitermachen und Bryce hätte nie etwas davon erfahren. Warner war häufig genug hier. Und Bryce passte wunderbar als Sündenbock. Ich brauchte ihn lebend, sollte es je eine ernsthafte Untersuchung geben. Jeder hätte ohne Zögern geglaubt, dass er dahinter steckte. Sogar die Dorfbewohner hatten Angst vor ihm!«
Avalon rief sich Elfriedas Gesicht im Gasthaus in Erinnerung, die allein schon bei der Namensnennung des Barons angefangen hatte zu wimmern. Mistress Herndon. Alle waren so sehr getäuscht worden. Atemlos und lächelnd erzählte Claudia ihre Geschichte jetzt schneller. Die Worte sprudelten aus ihr hervor. Avalon musste sich konzentrieren, um ihr folgen zu können.
»Die Liaison zwischen Warner und mir dauerte schon eine ganze Weile. In dem Jahr, als sich herausstellte, dass Ihr überlebt hattet, hatte ich ohnehin geplant, Bryce aus dem Weg zu räumen. Ihr habt diesen Plan zunichte gemacht – indem Ihr die Ländereien und die ganzen Einnahmen wieder für Euch beanspruchtet. Das kann ich Euch nicht vergeben. Ich hätte es eigentlich vorgezogen, Euch sofort vom Erdboden verschwinden zu lassen, sobald Ihr nach England zurückkamt. Aber Warner überredete mich dazu, es nicht zu tun. Er meinte, Ihr wäret zu bekannt. Euer Tod hätte dann bestimmt einiges unangenehme Gerede nach sich gezogen. Seiner Ansicht nach sollten wir mit
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