Süße Rache: Roman (German Edition)
beobachtet?«
»Ich brauchte dich nicht aufzuspüren«, erwiderte er gelassen. »Ich habe immer gewusst, wo du bist.«
»Immer?«, wiederholte sie. »Wie das?«
»Ich bin dir gefolgt, als du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest.«
Er war dort gewesen? Er war die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen? Sie blinzelte ihn an, weil die Küchenlampe plötzlich viel zu hell und erbarmungslos gleißte, und setzte dann zu einem intuitiven Sprung an. »Du hast meine Krankenhausrechnung bezahlt!«, fuhr sie ihn so feindselig an, als hätte er sich an Heiligabend an der Kasse vorgedrängelt.
Er fertigte ihren Vorwurf mit einem kurzen Handwedeln als unbedeutend ab.
»Warum?«, hakte sie nach. »Ich hätte auch selbst zahlen können. Du weißt, dass ich genug Geld habe.«
»Ich wollte nicht, dass du mit seinem Geld für deine Gesundheit bezahlst.« Er hätte einen Hamburger bestellen können, so ausdrucksvoll oder eindringlich sagte er das, doch gleichzeitig spürte sie das intensive Lodern, mit dem sein dunkler Blick sie durchbohrte. Sie hätte nicht sagen können, was er gerade dachte, sie wusste nur, dass sie beinahe nervös auf ihrem Stuhl herumgerutscht wäre und eine Hitzewelle ganz langsam die Eiseskälte zurückdrängte, unter der sie immer noch bibberte.
»Aber … warum? Er hat dich beauftragt, mich umzubringen. Wenn ich nicht verunglückt wäre, hättest du – ich weiß, dass du es getan hättest, und du weißt das auch!« Bei den letzten Worten war sie lauter geworden, sie verstummte, ehe sie noch mehr sagen konnte, ehe sie dem Drang, ihn anzuschreien, nicht länger widerstehen konnte.
»Vielleicht. Ich weiß es nicht.« Sein Mund bildete eine strenge Linie. »Ich könnte behaupten, dass ich den Auftrag nie offiziell angenommen habe, das wäre nicht einmal gelogen, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was passiert wäre, wenn du nicht verunglückt wärst. So gern ich von mir glauben würde, dass ich es nicht getan hätte, ich muss mir eingestehen, dass ich es nicht sicher weiß.«
»Wieso hast du den Job nicht angenommen?« Sie wusste, dass sie ihm lästig wurde, aber das war ihr egal. Sie war aus einer ganzen Reihe von Gründen wütend auf ihn, unter anderem, weil er so kühl und beherrscht wirkte, während sie nur noch ein Nervenbündel war und das Gefühl hatte, jeden Moment auszuflippen und schreiend die Straße
hinunterrennen zu müssen. »Ich habe dir nichts bedeutet. Ich bedeute dir immer noch nichts.«
Er sah sie stumm an, seine Miene war verschlossen wie immer, was sie noch wütender machte. »Wie viel hat er dir geboten? Hat es dir nicht gereicht? Habt ihr euch deshalb nicht geeinigt?«
»Zwei Millionen«, antwortete er ungerührt. »Das Geld war kein Problem.«
Zwei Millionen! Sie spürte, wie die Luft aus ihrer Lunge wich. Rafael hatte ihm noch einmal die Summe geboten, die sie ihm gestohlen hatte, dabei war ihm bestimmt klar gewesen, dass er den gestohlenen Betrag nie wieder aus dem Dickicht von Steuergesetzen und Rechtsvorschriften bergen konnte, womit sich sein Verlust auf insgesamt vier Millionen belaufen hätte. Sie starrte den Mann an, der ihr gegenüber saß, und rätselte, warum in aller Welt er diesen Job nicht angenommen hatte.
»Und was war das Problem?«, wollte sie wissen.
Er schob leise seufzend den Stuhl zurück und stand auf. Dann stemmte er eine Hand auf den Tisch und ließ die andere unter ihr Haar gleiten, umfasste ihren Nacken, beugte sich vor und drückte seinen Mund auf ihren. Ihr Hirn stellte den Dienst ein, und sie erstarrte, immer noch die eigenen Arme umklammernd, den Kopf zurückgebogen in seinen Griff, den Mund willenlos geöffnet, während ihre Lippen mit seinen verschmolzen. Seine Zunge tastete sich vor, und wie betäubt ließ Andie sie gewähren, um sie dann mit zaghaften Berührungen ihrer eigenen Zunge willkommen zu heißen.
Er ließ sie wieder los und setzte sich. Ohne sich zu rühren, starrte Andie auf die Tischplatte. In der Stille konnte sie das Ticken der Uhr, das Summen des Kühlschranks und das gedämpfte Klackern der automatischen Eismaschine
hören, die frische Eiswürfel in den Behälter plumpsen ließ. Was für eine Ironie, dass sie, die immer und jederzeit gewusst hatte, wie sie einen Mann betören musste, die nie um Worte verlegen gewesen war, um eine Situation zu ihrem Vorteil zu wenden, jetzt vollkommen sprachlos war. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie sagen sollte, sie bezweifelte, dass dieser Mann sich je hatte betören lassen.
Weitere Kostenlose Bücher