Süße Rache: Roman (German Edition)
bestimmt nicht mitleiderregend aussehen. Sie könnte die Spuren von gestern nicht auslöschen, aber so wie jetzt brauchte sie wirklich nicht auszusehen.
Zum ersten Mal überhaupt schloss sie die Tür zum Bad ab, bevor sie sich auszog. Es war ihr egal, was Rafael davon hielt, ob es ihm gefiel oder nicht.
Wütend attackierte sie mit dem Kamm die Knoten und Nester in ihren Haaren, dann stellte sie sich unter die Dusche und seifte sich mit ihrem liebsten parfümierten Duschgel ein. Gestern Nachmittag hatte sie keine Zeit gehabt, ihre Haare mit Conditioner zu pflegen, darum waren sie heute Morgen so verfilzt. Jetzt ließ sie sich Zeit, bis sie spürte, wie die dicken Strähnen unter ihren Fingern seidig weich wurden.
Als Erstes, dachte sie grimmig, würde sie den ganzen Mist abschneiden. Zum einen war diese Frisur viel zu leicht zu erkennen, zum anderen gefielen ihr die übertrieben langen Locken nicht. Sie hatte ein paar Naturwellen in ihrem Haar, aber diese Korkenzieherlocken waren ein Produkt von stinkenden Chemikalien und stundenlangen Torturen. Sie hatte den Stil absichtlich gewählt, weil sie
wusste, dass sie damit frivoler und unbedarfter wirkte, aber verdammt noch mal, sie hatte es satt. Sie hatte es satt, so tun zu müssen, als hätte sie kein Hirn, sie hatte es satt, die Bedürfnisse anderer Menschen über ihre eigenen stellen zu müssen.
Sie schlüpfte in den Morgenmantel, schnürte ihn fest zu und begann dann eilig Make-up aufzulegen, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr die Zeit zwischen den Fingern zerrann und ihr nur noch wenige Stunden zur Flucht blieben. Sie hätte nicht so lang schlafen sollen, sie hätte den Wecker stellen sollen, aber das hatte sie nicht, deshalb musste sie jetzt die verlorene Zeit gutmachen. Nachdem Rafael sich so merkwürdig aufgeführt hatte, so als hätte er plötzlich seine tiefe Liebe zu ihr entdeckt – na klar -, konnte sie nicht mehr vorhersagen, was er als Nächstes unternehmen würde, und diese Unsicherheit machte ihr Angst. Er war gefährlich, und er war schlau. Sie brauchte sich nur ein einziges Mal zu verplappern oder ein einziges Mal ihr wahres Gesicht zu zeigen, schon hätte sie sich verraten. Das war ihr in den zwei Jahren, die sie inzwischen zusammen waren, nie passiert, aber andererseits war sie auch noch nie so nervös gewesen. Sie vertraute ihm nicht, und sie vertraute nicht mehr darauf, dass sie alles unter Kontrolle hatte.
Dann kam ihr eine Idee, die ihr einen kleinen Vorteil einbringen konnte, wenn sie funktionierte. Wenn nicht, würde sich ihre Situation dadurch wenigstens nicht verschlechtern. Sie zwang sich zu husten. Anfangs klang es sanft, aber je öfter sie sich überwand, desto tiefer und rauer kam ihr Husten tief aus der Lunge. Nach einer Minute machte sie eine Pause und sagte laut: »Verflucht noch mal«, um ihre Stimme zu testen. Sie klang schon heiserer, aber noch nicht heiser genug. Sie hustete wieder, zog die
Kraft tief aus der Brust, und spürte, wie ihr Hals zu brennen begann. Wenn sie krank war, hatte sie eine praktische Ausrede, Rafael auf Distanz zu halten, falls er mit ihr schlafen wollte – außerdem hatte sie damit eine Erklärung für ihren blassen Teint, was zwar nur ihr Ego befriedigte, aber seit gestern musste sie ihr Ego aufpäppeln, so gut es ging. Rafael und sein Killer hatten es so ziemlich zerschlissen.
Sie hörte ein leises Geräusch in ihrem Zimmer, und ein Frösteln lief über ihren Rücken. Rafael! Sie wirbelte herum, entriegelte die Tür, zog sie in der gleichen Bewegung auf und trat heraus, ohne zu zögern, so als hätte sie nichts gehört und keine Ahnung, dass er da war. Sie prallte praktisch mit ihm zusammen und schreckte mit einem überraschten Quietschen zurück. »Ich wusste nicht, dass du in meinem Zimmer bist.« Sie war sehr zufrieden mit ihrer heiseren Stimme.
Er legte die Hände auf ihre Taille und sah sie ernst an. »Bist du krank? Du hörst dich schrecklich an.«
»Vielleicht habe ich mir was eingefangen«, murmelte sie und senkte den Blick. »Ich musste schon beim Aufwachen husten.«
Er hob ihr Gesicht an, prüfte mit seinem dunklen Blick kritisch ihren blassen Teint und die dunklen Ringe unter ihren Augen. Drea ertrug es kaum, ruhig stehen zu bleiben und sich von ihm anfassen zu lassen. Er war mit seinem dichten schwarzen Haar und seinen gemeißelten Gesichtszügen ein gutaussehender Mann, aber sie hatte ihn nie geliebt und bestenfalls ein gewisses Vergnügen dabei empfunden, mit ihm zusammen zu
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