Süße Rache: Roman (German Edition)
aber nicht okay an. Sie hörte sich an, als wäre ihr Lebenswille gebrochen, als würde sie nie wieder lächeln.
Seine Brust wurde so eng, dass er kaum noch sprechen konnte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schluckte nervös. Er allein hatte ihr das angetan, er allein hatte sie so tief verletzt und dabei ihre kindliche Lebensfreude ausgelöscht. Er musste das wiedergutmachen, überlegte er angestrengt. Irgendwie musste er sie überreden, bei ihm zu bleiben. Natürlich konnte er sie jederzeit dazu zwingen, indem er dafür sorgte, dass sie nirgendwo Unterschlupf fand. Eigentlich war es ihm egal, wie er es anstellte, Hauptsache, es funktionierte.
Noch an diesem Morgen, vor nicht einmal zwölf Stunden, hätte sie ihn in so einer Situation gefragt, ob sie ihm irgendetwas Gutes tun konnte, sie hätte ihn verhätschelt und dafür gesorgt, dass alles genauso war, wie er es haben wollte. Jetzt lag sie nur noch da, gab sich nicht einmal Mühe, mit ihm zu sprechen, und der Graben, der sie trennte, kam ihm tausend Meilen tief vor. Wenn sie doch nur wütend wäre, wie andere Weiber auch, dachte er frustriert, dann hätte er auch wütend werden können und müsste sich nicht so hilflos fühlen. Aber Drea verlor nie die Beherrschung; er wusste nicht einmal, ob sie das überhaupt konnte.
Irgendwann hatte er mit jemandem darüber gewitzelt, dass sie die seelische Tiefe einer Petrischale hatte, und plötzlich wünschte er sich, es wäre so.
Er hatte sich über sie lustig gemacht, sie vor anderen gedemütigt, und die ganze Zeit hatte er nicht erkannt oder
ihr angerechnet, dass sie schlicht und ergreifend loyal gewesen war. Wenn es schon fies war, jemanden zu lieben, dann war es noch viel heimtückischer und schlimmer, geliebt zu werden, denn das lud ihm die unterschwellige Verpflichtung auf, für sie zu sorgen. Noch vor zwölf Stunden war er ein freier Mann gewesen. Jetzt hatten ihn seine Emotionen überfallen und so effektiv in Ketten gelegt, als wären seine Gefühle aus Stahl geschmiedet.
»Brauchst du irgendwas?«, fragte er und stand widerstrebend auf. Dass er wie ein Idiot neben ihrem Bett saß, ging entschieden zu weit.
Sie zögerte ein paar Sekunden, ehe sie antwortete, Sekunden, in denen sein Herz vor Hoffnung Sprünge machte, doch dann sagte sie: »Ich brauche nur Schlaf.« Er erkannte, dass die Pause ein Zeichen von Erschöpfung und keines von Unentschlossenheit war.
»Dann sehe ich dich morgen früh.« Er beugte sich übers Bett und küsste sie auf die Wange. Früher mal, vor kaum zwölf Stunden, hätte sie ihm das Gesicht zugedreht und ihre Lippen auf seine gedrückt, doch jetzt blieb sie reglos liegen. Noch bevor er sich abwandte, hatte sie die Augen wieder geschlossen.
Rafael hatte kaum die Tür ins Schloss gezogen, da flogen Dreas Augen auf, und sie schauderte. Sie war eine gute Schauspielerin, aber sie wusste, dass sie nicht gut genug war, um ihre Gefühle zu verbergen, wenn er mit ihr zu schlafen versuchte. Sie konnte das nicht mehr, nicht mit ihm; sie musste abhauen, bevor das Thema akut wurde, denn sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie in diesem Fall die Beherrschung behalten würde.
Wenigstens wäre Rafael morgen von seiner üblichen Entourage umgeben; heute Morgen hatte er seine Leute
weggeschickt, damit er mit dem Killer verhandeln konnte, ohne dass einer von ihnen ahnte, was er vorhatte. Normalerweise ging es ihr auf die Nerven, dass er ständig von einem Kreis aus Leibwächtern umringt war, aber jetzt war sie froh, dass sie morgen wieder in der Wohnung wären. Rafael würde sich große Mühe geben, sie ganz normal zu behandeln, damit keiner von ihnen auch nur ahnte, was heute vorgefallen war; sein Ego würde es nicht ertragen, wenn das öffentlich bekannt würde. Er würde wie geplant seine Geschäfte erledigen, wie die auch aussehen mochten. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er irgendwohin fliegen müsste, aber vorerst war keine Reise geplant, sonst hätte sie davon gewusst.
Er benahm sich … eigenartig. Sie hatte erwartet, dass er geschmeichelt reagieren würde, wenn sie ihm gestand, dass sie in ihn verliebt war, aber sie hatte nicht erwartet, dass er so komplett entgleisen würde. Er hatte ihr Wasser gebracht, nach ihr geschaut … im Dunkeln in ihrem Zimmer gesessen, um Gottes willen! Es war gespenstisch: Er benahm sich, als hätte er sich einer Charaktertransplantation unterzogen. Wäre die Vorstellung nicht so abwegig gewesen, hätte sie fast geglaubt,
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