Süße Teilchen: Roman (German Edition)
ich es morgens überhaupt aus dem Bett schaffe.
»Ihre Einstellung ist eine Zumutung für Ihre Umgebung. Neulich sind Sie eine Woche lang überhaupt nicht erschienen, und keiner wusste, wo Sie waren. Ihre Kollegen wissen ja nicht mal, ob sie Sie überhaupt noch zu den Meetings einladen sollen.«
Oh, meine armen, armen Kollegen.
»Noch etwas, Sophie.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust und löse sie wieder, schließlich will ich einen offenen, zugänglichen Eindruck machen.
»Wenn irgendwo etwas herumsteht, nehmen Sie offenbar an, Sie dürften es essen.«
»Meinen Sie den Streuselkuchen neulich? Den mit Pfirsich und Schokoladencreme? Tut mir leid, aber woher hätte ich wissen sollen, dass wir nur diese eine Probe hatten?«
Devron winkt ab. »Es scheint Ihnen, was Ihre Arbeit angeht, an Liebe zu mangeln.« Sehr nett formuliert, Devron, sehr einfühlsam. »Diese Liebe möchten wir bald wieder sehen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Wenn du dieses Wort noch einmal sagst, haue ich dir eine rein.
»Künftig geben Sie hundertzehn Prozent oder das nächste Gespräch könnte im Beisein unseres Personalchefs stattfinden.«
Ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmecke. Dann stehe ich auf.
»Sind wir uns einig?«, fragt Devron.
»Nein, Devron, definitiv nicht. Eher würde ich von hundertzehn Prozent Uneinigkeit sprechen.« Ich verlasse die Kantine, das Gebäude und womöglich auch meinen Job.
Aber ich will nicht ungerecht sein, ich kann Devron verstehen. Ich wollte auch nicht mit einer Verrückten zusammenarbeiten. Die macht keine fette Beute.
Ich bin klinisch depressiv, wütend und ekle mich an, nicht zuletzt wegen der vielen Kekse, die ich heute wieder verdrückt habe, und ich weiß nicht, ob ich noch einen Job habe. Ob das die beste Ausgangslage für ein erstes Date mit einem attraktiven Architekten ist? Wahrscheinlich nicht.
Ich werde es trotzdem nicht absagen. Immerhin könnte an diesem Abend etwas Neues und Aufregendes beginnen.
Oder auch nicht.
Da ich früher als sonst zu Hause bin, nutze ich die Zeit, um mich hinzulegen und zu beruhigen. Für alle Fälle stelle ich meinen Wecker. Anscheinend habe ich einmal zu oft auf die Wecktaste gedrückt, denn als ich wach werde, ist es zwanzig vor acht.
Anschließend starre ich für eine halbe Stunde auf die Sachen, die dicht gedrängt in meinem Kleiderschrank hängen, und frage mich, warum ich rein gar nichts zum Anziehen habe.
Und warum mir rein gar nichts mehr passt.
Ich habe nicht einmal Lust, sexy auszusehen, aber zu guter Letzt zwänge ich mich in ein hübsches gestreiftes Kleid, putze mir die Zähne, tusche mir erstmals seit einer Woche die Wimpern und stürze aus der Wohnung. Unten in der Eingangshalle hängt ein Spiegel. Darin sehe ich, dass ich nur ein Auge geschminkt habe und mein Gesicht farblos wirkt. Ich kehre zurück in meine Wohnung, schminke auch das andere Auge und pinsele zu viel Rouge auf meine Wangen. Der Pinsel bringt mich zum Niesen. Nach dem Niesen habe ich schwarze Tuschepunkte unter den Augen.
Ich schminke mich nach, laufe nach unten, winke ein Taxi heran und mache auf der Fahrt kurz an einem Geldautomaten Halt. Als ich das Old White Bear betrete, ist es zwanzig vor neun. Jack sitzt an einem Tisch und liest Zeitung. Umgehend wird mir bewusst, dass ich seine Einladung hätte ausschlagen sollen. Seine Nase ist kleiner als die von James. Der ganze Mann ist kleiner als James. Er ist einfach nicht James.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme«, begrüße ich ihn. »Darf ich Sie zu einem Drink einladen? Zu einem Glas Wein?«
Jack macht Anstalten aufzustehen. Noch ehe er auf halber Höhe ist, bin ich schon an der Bar.
Ich mag zwar arbeitslos sein, aber aus irgendeinem Grund finde ich, dass ich Grund zum Feiern habe. Zudem ist mir meine Verspätung so peinlich, dass ich beschließe, Jack zu einem guten und teuren Wein einzuladen. Während ich mich in die Weinkarte vertiefe, versuche ich, mich an meine Fluchtstrategien zu erinnern. Wie wäre es mit der Freundin, die mich vorhin gebeten hat, ihr in einer Notsituation zu helfen? Oder das wichtige Meeting, das am frühen Morgen auf mich wartet. Oder die altbewährten Kopfschmerzen. Aber das kann ich nicht machen, Jack war schließlich mit meiner Großmutter befreundet. Ich muss wenigstens zwei Stunden in seiner Gesellschaft ausharren.
Ich entscheide mich für die zweitteuerste Flasche, einen Sekt für fünfzig Pfund, der als »spritzig« bezeichnet wird. Erst als
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