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Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Titel: Süße Teilchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Newman
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ich. »Deshalb müssen wir lernen, uns zu lieben, unseren Körper zu akzeptieren, und wir müssen erkennen, dass Nahrung nichts Schädliches ist. Und später müssen wir unsere Töchter lehren, dass Freundlichkeit und Stärke zu den wahren Werte gehören.«
    Ich schaue die anderen an und warte darauf, dass sie sich nach meiner flammenden Rede wie ein Mann erheben, die Küche stürmen und sich als Erstes auf die Kit Kats stürzen.
    Aber nein, die anderen schauen mich an, als hätte ich sie zur Poolparty der Analerotiker eingeladen und sie gebeten, ihre Kinder und Hunde mitzubringen.
    Anscheinend bin ich jetzt das schwarze Schaf. Sephonie kommt nach der Stunde zu mir und sagt, ich sei ein Spielverderber.
    Am Abend müssen wir boxen. Sephonie ist meine Partnerin. Sie trägt ein Kapuzenshirt aus Kaschmir von Zadig & Voltaire, das sie ständig an- und auszieht. Mal ist ihr zur warm, dann wieder zu kalt.
    Ich habe zwei Schutzpolster in den Händen und sitze auf ihr, während sie Bauchpressen macht und im Hochkommen in die Polster boxt. So etwas wäre schon an einem guten Tag nicht einfach, aber wir haben vier mörderische Tage hinter uns und kaum Benzin im Tank.
    »Boxt gegen den Schmerz an«, brüllt Big Tony.
    Auf den ersten Blick scheint es einfach, nur die Polster hochzuhalten, aber tatsächlich ist es ebenso schwierig wie zu boxen. Mich zu schützen, kostet mich meinen letzten Rest Kraft, aber ich will nicht, dass dieses Miststück mir einen Schlag ins Gesicht versetzt.
    Wir wechseln die Positionen. Jetzt liege ich auf der Matte und Sephonie sitzt auf mir. Mit schlaffen Armen hält sie die Polster vor ihr Gesicht. Ich kann kaum noch Piep sagen, doch dann stelle ich mir Devrons Gesicht auf jedem der beiden Polster vor und hämmere auf sie ein. Der dumpfe Knall bei jedem Treffer gefällt mir ausnehmend gut.
    »Los, Mädels!«, schreit Big Tony. »Zeigt dem Schmerz, was ihr könnt!«
    Drei Schläge muss ich noch schaffen. Ich zwinge meine Bauchmuskeln, mich hochzuhieven und befehle meinem Bizeps, sich anzuspannen, doch vor dem letzten Schlag bin ich bereit, das Handtuch zu werfen. Aber dann sage ich mir, nur diesen einen noch, und versuche, meine Faust in ein Polster zu rammen. In dem Moment lässt Sephonie erschöpft die Hände sinken, und meine Faust landet auf ihrem Kinn.
    Es war nichts als ein unglücklicher Zufall. Ich schwöre.
    Fünfter Tag im Trainingslager.
    Plötzlich sind wir nur noch zu dritt.
    »Sephonie geht es gut«, verkündet Big Tony. »Aber sie hat zu starke Kopfschmerzen, um mit uns den Berg zu besteigen.« Er sieht mich vorwurfsvoll an. Sephonie hat einen wackligen Zahn, na und? Zweiunddreißig Zähne zu haben, ist doch sowieso längst unmodern geworden.
    Offenbar gelte ich in der Gruppe jetzt als Querulantin. Ich beschließe, diesen Status auszunutzen. Als wir für die Tagestour packen, überrede ich Go-Go und Hildegunn, mir ihre Schokoladenration zu überlassen. Dafür gebe ich ihnen die Äpfel, die ich seit zwei Tagen im Rucksack habe. Die beiden sind von ihrem Gewicht besessen, mehr als ich es jemals sein könnte. Der Handel kommt uns also allen gelegen. Darüber hinaus nehmen wir für den Tag Haferkekse und Körner mit, »zum Naschen«.
    Wir ziehen los. Stunden später erreichen wir den Gipfel eines ziemlich kleinen Bergs, aber die Aussicht ist phantastisch. Was für ein Glück ich habe, schießt es mir durch den Kopf, während ich den Blick über die großartige Landschaft schweifen lasse.
    Ich schütte Körner in meine Hand und studiere ihre Formen, kleine schwarze und braune Kugeln, Sicheln und Streifen. Voller Vorfreude denke ich an den nächsten Tag, stelle mir vor, was ich dann naschen werde – eine Nektarine, eine Scheibe Toast mit Butter und Marmite, ein Glas Orangensaft.
    Auf dem Weg nach unten wird mir bewusst, dass ich mich verloren habe, als ich James fand. Ich dachte, er wäre der große Preis. Das war mein Irrtum.
    Der Tag wird kommen, an dem mein Gewicht mir einerlei sein wird. Ich werde mit mir im Reinen sein und meinen Körper als Geschenk betrachten, das mir erlaubt zu tanzen, Berge zu besteigen und die Welt in ihrer ganzen Schönheit zu erkennen. Ich werde an die schillernde Zeit mit James zurückdenken und mich an die Freude erinnern, die ich ihm verdankt habe, die er mir verdankt hat, die wir gemeinsam geschaffen haben.
    Es war eine Zeit, in der ich die Möglichkeiten, die Schönheit und die Hoffnung, die das Leben zu bieten hat, gespürt habe.
    Ich fühlte mich lebendig

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