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Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Titel: Süße Teilchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Newman
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Inschrift stammt aus der Bibel, aus dem Hohen Lied Salomons. »Mein Freund ist mein und ich bin sein.« Auf dieser Bank saßen meine Großeltern an lauen Sommerabenden und dösten aneinandergeschmiegt.
    Ich besuche meine Großmutter gern. Die Wohnung erinnert mich an die Samstagnachmittage, die ich dort früher mit meinem Bruder verbrachte, daran, wie wir in dem Lift mit dem altmodischen Scherengatter auf- und abgefahren sind. Wo unser Vater auf den Fluren mit dem roten Läufer mit uns Fangen spielte, bis meine Großmutter den Kopf aus der Wohnungstür steckte und mahnend sagte, wer noch etwas von ihren berühmten Spaghetti mit Fleischklößen und Tomatensoße haben wolle, müsse sich sputen, denn mein Großvater sei dabei, alles aufzuessen.
    Ich klingele unten an der Haustür. Evie, die Halbtagskraft, die sich um meine Großmutter kümmert, lässt mich herein. »Sie hat nicht gut geschlafen«, begrüßt sie mich oben an der Wohnungstür und gibt mir einen Kuss. Evie ist die Pflegerin, die sich am längsten gehalten hat. In den letzten zehn Jahren hat meine Großmutter sich von etlichen Pflegerinnen aus Osteuropa getrennt, entweder weil sie zu unglücklich aussahen oder zu viel oder zu wenig redeten, Letztere waren »Schtume«. Evie ist immer gut aufgelegt, redet im richtigen Maß und lackiert die Fingernägel meiner Großmutter in glitzerndem Violett, als hätte die alte Dame noch Gott weiß was vor.
    Meine Großmutter ist siebenundneunzig. Sie kann nicht mehr gut gehen, und ihre Langeweile ist in Depressionen übergegangen, aber ihr Verstand und ihre Zunge sind so rasiermesserscharf wie eh und je.
    Sie sitzt in ihrem hellblauen Ohrensessel und schaut aus dem Fenster Richtung Park. Als sie mich hört, dreht sie sich um und ihre Augen leuchten auf.
    »Hier, die sind für dich.« Ich überreiche ihr den Tulpenstrauß.
    »In meiner Lieblingsfarbe«, sagt sie. »Evie! Wir brauchen eine Vase. Setz dich, Sophie, iss ein Plätzchen.« Sie zeigt auf die sternförmigen Plätzchen mit Puderzucker, die sehr hübsch auf einem weißen Teller mit rotem Delfter Muster arrangiert worden sind. Ich knabbere an einem mit Zitronengeschmack, obwohl ich die Verbindung von Süßem mit Zitrone nicht mag. »Was gibt es Neues, Schätzchen? Wie war das Lamm mit Pistazien?«
    Über das Rezept haben wir uns vor einem Monat unterhalten.
    »Es hätte noch ein bisschen Zeit bei kleiner Flamme gebraucht.«
    »Immer die kleinste Flamme, das habe ich dir doch gesagt.« Sie schüttelt den Kopf.
    Meine Geschmacksgene habe ich von meiner Großmutter und von meiner Mutter. Meine Großmutter war eine hervorragende Köchin, erst im Alter hat sie die Lust am Essen verloren. Heutzutage ernährt sie sich von Suppen, vertrockneten Zitronenplätzchen und Mokkaeiscreme, die sie abends mit einem kleinen Whisky hinunterspült. Auch den Wunsch, ständig etwas Neues zu probieren, habe ich von ihr, und von meiner Mutter leider die Angewohnheit, zu große Mengen zu kochen.
    »Dein Bruder hat dafür gesorgt, dass ich mich alt fühle«, klagt sie. »Jetzt werde ich schon Uroma.«
    »Ich finde ein neues Baby aufregend, ich kann es kaum erwarten.«
    »Wer weiß, ob ich dann überhaupt noch da bin.«
    »Davon will ich nichts hören, natürlich bist du dann noch da.«
    »Nein, das hier ist mein letzter Winter. Ich spüre es.«
    »Das sagst du jedes Jahr.«
    »Ich bin bereit.« Ihr Atem ist flach, ihre Schultern heben und senken sich langsam. »Was ist denn mit dir? Wie lange willst du noch von einem zum anderen ziehen?«
    »Ich bin noch nicht bereit für ein Baby.«
    »Natürlich nicht, zuerst müsstest du ja auch mal einen ordentlichen Mann finden. Gibt es denn gar keine netten Kollegen?«
    Raymond aus der Buchhaltung, vielleicht? Dessen Hose immer Hochwasser hat? »Nein, aber ich habe jemanden kennengelernt, der dir womöglich gefallen würde.«
    »Erzähl!«
    »Er ist – sehr intelligent. Und gut aussehend. Nett. Groß.« Sein Alter erwähne ich lieber nicht, denn das würde ihr mit Sicherheit nicht gefallen.
    »Und was macht er?«
    »Er hat ein eigenes Sockengeschäft.«
    »Jüdisch?«, fragt sie hoffnungsvoll.
    »Ich glaube, sein Großvater war Jude.« Was nicht zählt, wie wir beide wissen. »Ein Pelzhändler aus dem East End.«
    »Dein Großvater kannte Leute aus der Bekleidungsbranche. Wie heißt der Mensch?«
    »Stephens. James Stephens.«
    »Du liebes bisschen.« Sie tut, als wäre sie entsetzt und schlägt die Hände vors Gesicht. »Sei bloß nicht zu nett zu

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