Süße Teilchen: Roman (German Edition)
abgebissen?
»Nein.« Ich lege meine Hände in den Schoß. »Mir fehlt lediglich die Zeit, mich stundenlang solchen Verschönerungen zu widmen. Warum? Magst du lackierte Nägel?«
»Ein bisschen roter Nagellack schadet nie.«
»Man merkt, dass du deine ersten sexuellen Vorlieben in den Achtzigerjahren entwickelt hast«, entgegne ich kopfschüttelnd.
Er lacht, schenkt mir Wein nach und legt seine Hände auf den Tisch. Wie von allein setzen sich meine Hände in Bewegung und landen neben seinen.
»Gott, solche Frauen sieht man heute kaum noch«, sagt er, als eine hochgewachsene, in einen langen Pelzmantel gehüllte, dick geschminkte Frau Anfang zwanzig das Restaurant betritt, an ihrer Seite ein schwergewichtiger Mann um die fünfzig.
»Flittchen in Begleitung von Geldsäcken? Ich bitte dich, London ist voll von ihnen.«
»Nein, ich meine den Mantel. Das ist ein echter Zobel«, sagt er bewundernd.
»Ich finde das eher schräg.«
»Den Mantel?«
»Nein, die beiden. Er sieht aus, als würde er sie stundenweise bezahlen. Woher weißt du überhaupt, dass es ein echter Zobel ist?«
»Das erkenne ich an dem bläulichen Schimmer. Wusstest du, dass sich russische Zobel bis zu acht Stunden lang paaren können?« Lächelnd beugt er sich zu mir vor.
»Das kann Sting angeblich auch, aber egal, woher weißt du das alles?«
»Mein Großvater war Pelzhändler. Pelzgeschäft Stephanikov im East End. Magst du Pelze?«
»Mich stört der Gedanke, dass Tiere meinetwegen leiden müssen, aber andererseits esse ich ja auch Fleisch, deshalb, nein, ich habe nichts gegen Pelze, erst recht nicht gegen alte. Oder findest du das gemein, herzlos und widerlich?«
»Nein, es war eine ganz harmlose Frage.«
»Wenn in deiner Garage noch ein paar Nerzjacken liegen, die du verschenken möchtest, sag Bescheid.«
Er lacht und bestellt zwei Gläser Wodka.
»Mr Stephens«, sage ich. »Versuchen Sie etwa, mich betrunken zu machen?«
Er zieht eine Augenbraue hoch und lächelt verschmitzt. »Welche ist denn nun die beste Süßspeise der Welt?«
»Es gibt warmen Pudding, kalten Pudding, Kuchen, Torte, Flammeri, Mousse, Flan und Kompott. Du musst schon etwas genauer fragen.«
»Kuchen.«
»Da ist die Nummer eins der Blätterteig mit Nougat von Jean Clement, den man nur in Paris bekommt. Nummer zwei ist der Käsesahnekuchen mit Schokocreme und Himbeeren von meiner Mutter. Den wiederum gibt es nur in Kalifornien und wenn meine Mutter gute Laune hat. Nummer drei ist der Apfelkuchen mit Sultaninen von Ottolenghi an der Upper Street, den kriegst du bei uns täglich.«
James lächelt. »Mit so jemandem wie dir bin ich noch nie ausgegangen.«
»Wie meinst du das?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Ist das was Gutes?«
Er nickt. Ich spüre ein leichtes Flattern in der Brust.
»Und was genau ist nun dein Beruf? Ich weiß, dass du Socken verkaufst, aber wie sieht das eigentlich aus?«
»Na schön. Wo kaufst du deine Socken?«
»Bei M&S .«
»Und warum?«
»Gute Qualität.«
»Was noch?«
»Dehnfähig.«
»Was noch?«
»Weiter nichts. Tut mir leid, aber ich steh nicht so auf Socken.«
»Warum entschuldigst du dich dafür? Wie sieht es bei Strumpfhosen aus?«
»Die kaufe ich auch bei M&S , aus denselben Gründen. Verkaufst du denn auch Strumpfhosen?« Das wäre großartig, ich könnte einen Mann brauchen, der mich mit Strumpfhosen versorgt, man denke nur an die zwei, die mich der heutige Abend schon gekostet hat.
»Nein, im Moment sind es nur Socken, aber im Sommer beginne ich mit etwas Neuem auf dem Gebiet. Noch eine Flasche Roten?« James lächelt mich an, und ich kann nicht anders, ich muss ihn anstrahlen.
Dann wird uns das Hauptgericht serviert. Mir fällt auf, dass James mir immer noch nicht genau erklärt hat, was er macht. Soweit ich weiß, könnte er auch Drogenhändler sein oder Zuhälter, das Zeug dazu hätte er. Aber eigentlich ist mir ganz egal, was er macht, denn ich bin von ihm ganz bezaubert.
Leicht schwankend verlassen wir das Restaurant. Draußen ist es eiskalt. Während wir versuchen, ein Taxi herbeizuwinken, zieht James mich an sich und hüllt uns beide in seinen Mantel. »Komm her, Kleine.«
In einer Ecke sitzt eine Obdachlose, ungefähr sechzig Jahre alt. Sie hat orangefarbene Strähnen im Haar, trägt eine rosa Tiara und einen Mantel aus Schaffell über einem Matrosenanzug aus Samt und Pantoffeln. Die Hosenbeine reichen nur bis zur Wade. Als sie James entdeckt, zeigt sie auf ihn und ruft mit starkem irischem Akzent:
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