Süße Teilchen: Roman (German Edition)
kollektiven Seufzer aus, und ein Mann in der ersten Reihe sagt: »Fast hättest du ihn gehabt.«
James dreht sich zu mir um und lächelt. »Da wollte ich etwas Gutes tun, und das ist nun die Strafe.«
Lachend lecke ich die Milch von seinem Kinn und gebe ihm einen Kuss. James schließt mich in die Arme und küsst mich hingebungsvoll. Jemand aus dem Publikum pfeift beifällig. Ich spüre kalte Milch auf meiner Nase. Noch während wir uns küssen, fangen James und ich an zu lachen.
»Wenn er doch nur einen Hamburger geschmissen hätte«, sage ich. »Oder ein paar Chicken McNuggets.« James gibt mir einen Kuss, der mir sagt, noch nie konnte ich mit einer Frau so lachen wie mit dir.
»Du hast mich verhext«, sagt James später, als wir ineinander verschlungen auf dem Fußboden seines Wohnzimmers liegen.
Ich weiß, was er meint, denn ich könnte genau dasselbe sagen. Nur dass ich jeden Moment damit rechne, dass die schillernde Blase rings um uns platzt. Bald wird er erkennen, wie ich wirklich bin, nämlich eifersüchtig, selbstsüchtig, ängstlich, also ein ganz normaler Mensch und keineswegs das Phantasiegebilde, für das er mich hält.
Und ich? Wie werde ich ihn sehen, wenn es unsere schöne Seifenblase nicht mehr gibt?
»Was sollen wir heute machen?«, fragt James am nächsten Morgen. Er liegt in der Badewanne, ich wasche die letzten Reste Milch-Shake aus seinem Haar.
»Wie viel Zeit haben wir denn?« Es ärgert mich immer noch, dass ich das nie weiß, aber wenn wir uns noch näherkommen, wird sich das ja vielleicht ändern, denn irgendwann wird James seine Beziehungsangst mit Sicherheit überwinden. Ich habe ihm ja schon gesagt, dass mich seine Unverbindlichkeit stört, nur möchte ich es nicht immer wieder sagen, ich will nicht, dass er denkt, ich würde nörgeln.
»Um sieben wollte ich mich mit Rob und den Jungs in Covent Garden treffen«, antwortet James vorsichtig, als wäre ich seine Mutter, die er um Erlaubnis bitten muss. »Vorher könnten wir ja etwas Kulturelles unternehmen.«
»Wie wäre es mit der Ausstellung von Sophie Calle in der Whitechapel?«
»Sind das Bilder?«
»Nein, aber ich weiß nicht genau, wie ich ihre Sachen beschreiben soll. Konzeptkunst vielleicht. In New York habe ich etwas ganz Phantastisches von ihr gesehen. Ihr Freund hatte ihr per E-Mail einen Abschiedsbrief geschickt, den sie x Leuten gegeben hat, um ihn zu interpretieren – einem Graphologen, einem Psychiater und so weiter, sogar ein Papagei hat Stellen daraus vorgekrächzt.«
James verzieht das Gesicht. »Ist ja total verrückt, aber da sie so heißt wie du, sollte mich das eigentlich nicht wundern.«
»Das ist nicht nett. Sophie Calle ist brillant. Stell dir doch mal vor, nur eine einzige E-Mail und dann kommen dabei so viele Meinungen heraus.«
»Ich würde das eher bescheuert nennen. Warum lässt sie sich nicht von dem Nächstbesten flachlegen und gut ist’s?«
Wir beschließen, ins British Museum zu gehen. Ich finde, das ist eine gute Idee, denn ich mag dieses Museum, und außerdem könnte ich im Museumsshop etwas für meine Großmutter kaufen. Doch vorher möchte James noch kurz in seinem Büro vorbeischauen, denn sein neues Projekt nimmt langsam Gestalt an. Ich weiß nur wenig darüber und wenn ich nachfrage, sagt er, es seien Strumpfhosen »zum Anfassen«. Auch in seinem Büro war ich noch nie, sodass mir auf dem Weg dahin wieder einmal klar wird, wie viele Aspekte seines Lebens ich noch immer nicht kenne. Ich weiß, dass sein Vater und sein Bruder im Ausland leben und habe zwei seiner Freunde kennengelernt, aber dennoch scheinen unsere Leben nach wie vor nebeneinanderher zu laufen. Bei Nick war das ganz anders, ich war sogar mit seinen Eltern und Großeltern befreundet, selbst jetzt telefonieren wir noch miteinander. Schon bevor wir zusammenlebten wusste ich jeden Tag, welche Hose Nick anhatte.
Ich denke darüber nach und sage mir schließlich, dass diese zu große Nähe der Grund für unsere Trennung war. Uns hat die Distanz gefehlt, und sexuelles Verlangen braucht nun mal Distanz. Wenn man zu häuslich wird und alles über den anderen weiß, verliert man die Lust auf ihn, man wird wie Bruder und Schwester. Außerdem führt das ständige Zusammensein dazu, dass man den anderen als selbstverständlichen Teil seines Lebens ansieht. Deshalb ist Distanz etwas Gutes. Genau. Aus der Entfernung entstehen Sehnsucht und Verlangen. Also ist Distanz eigentlich ideal.
James stellt seinen Wagen am St. James’ Square
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