Süße Teilchen: Roman (German Edition)
Runde um den Block zu laufen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Nach zehn Minuten gebe ich auf, kehre zurück, dusche und lege mich aufs Bett.
Ich muss auf seinen Anruf warten. Und wenn er anruft, darf ich ihn nicht zusammenstauchen, denn wenn ich das tue, werde ich mich wie ein Fischweib anhören.
James meldet sich nicht. Der Vormittag vergeht, und mir ist ganz elend vor Kummer und Sorgen. Was total lächerlich ist. Ich werde bei ihm einziehen. Er ist mit mir zusammen. Wir sind ein Paar. Wir kennen uns seit einem Jahr. Und warum bin ich dann zu ängstlich, ihm eine SMS zu schicken? Das ist doch abartig, aber wahrscheinlich mein Problem. Ich muss positiv denken.
»Hast du einen Brummschädel?«, frage ich ihn per SMS.
Eine Minute später ruft er an. Ich tue, als wäre alles in Butter. Er ist in seinem Büro, klingt bester Laune und erzählt, dass der Abend später noch ganz nett war. Dann fragt er, was ich am Abend vorhabe, er würde mich gern sehen.
Mein Magen wird schwer wie Blei. Er will sich mit mir treffen, um mir den Laufpass zu geben. Das spüre ich. Nein, ich weiß es. Mit hundertprozentiger Sicherheit.
»Warum willst du mich sehen?«
»Ich möchte dich in ein nettes Restaurant ausführen.« Jetzt klingt er verlegen.
Er wird doch wohl nicht an einem öffentlichen Ort mit mir Schluss machen wollen.
»Heute Abend kann ich nicht.«
»Gut, wie wär’s dann mit morgen?«
»Nein.«
»Nanu.«
»Ach, ich habe die Tage verwechselt. Morgen ist ja Donnerstag, da kann ich doch.«
»Schön.«
Am nächsten Abend holt er mich um acht Uhr ab. Ich bin so nervös und angespannt, dass mir übel ist.
»Hast du Hunger?«, fragt er.
»Warum? Wohin gehen wir denn?«
»Das ist eine Überraschung.« Okay, so was sagt ja wohl niemand, der eine Beziehung beenden will.
Wir fahren ins Zentrum. Auf dem Weg durch den Regent’s Park schaue ich aus dem Seitenfenster. Ich muss lernen, meine Gefühle auch zu äußern und ihm sagen, wenn mich etwas stört. In unserer Beziehung habe ich schon viel zu viel geschluckt. Ich drehe mich zu James um.
»James, ich muss dich leider etwas fragen.«
Sein Gesichtsausdruck wird panisch.
»Warum hast du mir keine SMS geschickt, als du nachts zu Hause warst?«
»Ich war zu müde, es war spät. Ich habe es vergessen.«
»Okay. Nein, eigentlich ist es nicht okay. Warst du zu müde, weil es spät geworden ist, oder hast du es vergessen?«
»Es war spät.« Er reibt Daumen und Mittelfinger aneinander. Die Geste kenne ich. Sie ist ein Alarmzeichen.
»Wie eigenartig deine Körpersprache ist. Schau mal auf deine Finger.«
»Du interpretierst zu viel in alles hinein.« Das sagen die Leute immer, wenn man ihnen auf die Schliche gekommen ist.
»Na, wenigstens hast du dich mit den Bonders gut unterhalten. Das ist schön, das freut mich.«
Den Rest schlucke ich hinunter, und in meinem Hals ist wieder dieser Stein.
James parkt an der Berwick Street. Wir steigen aus dem Wagen. Er hakt sich bei mir unter. Vor einem spanischen Restaurant, das ich seit Monaten unbedingt einmal testen will, bleibt er stehen. »Dieses Restaurant hast du neulich erwähnt. Ich hoffe, du hast hier inzwischen noch nicht gegessen.«
»Gute Wahl«, sage ich, als wir drinnen einen kleinen Ecktisch zugewiesen bekommen. Durch die Glasscheibe schaut man auf das Treiben in Soho, und die Stühle stehen so dicht zusammen, dass man dem anderen beinah auf dem Schoß sitzt. James legt einen Arm um mich.
»Mir gefällt es auch.« Er lächelt und nimmt meine Hand.
Wie dumm ich war. Es gibt gar kein Problem. Außer dass ich verrückt bin und lernen muss, mir nicht immer gleich alles Mögliche einzubilden.
Wir verbringen einen wunderbaren Abend, fast wie bei unserem ersten Date. Nein, eigentlich ist jede Begegnung mit James wie ein erstes Date, mit Ausnahme jenes unglückseligen Abends, an dem er seinen Anfall hatte. Doch den haben wir überwunden, wir sitzen zusammen und sind glücklich, uns kann nichts mehr passieren.
Später, nachdem wir wieder in meiner Wohnung sind, nehme ich ein Bad. Als ich das Schlafzimmer betrete, ist James im Bett eingeschlafen. Ich lege mich zu ihm. Er legt den Arm um mich. Gleich darauf küssen wir uns, und dann ist er auf mir, und ich denke, das ist Liebe, so natürlich, innig, intim und wundervoll.
Ich ziehe die Knie an. James schaut auf mich herab und streckt mein rechtes Bein wieder aus. Ich weiß nicht, warum, aber in den nächsten Tagen muss ich immer wieder an diese Geste denken. Sie
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