Süße Teilchen: Roman (German Edition)
mir fällt alles wieder ein, einschließlich der Tatsache, dass ich mich bald noch schlechter fühlen werde, denn in einer Stunde muss ich in der Fletchers -Filiale an der High Road in Kilburn sein.
Die Veranstaltung von Fletchers läuft unter dem Motto »Heute lassen wir uns mal zu den Mitarbeitern in den Filialen herab«. Das bedeutet: All die Angestellten der Zentrale, die mit ihrer Ausrede nicht fix genug waren, dürfen jetzt stundenlang in einem Supermarkt aushelfen und tun, als wären sie und die Leute, die die Regale einräumen, ein Herz und eine Seele. Draußen ist es kalt, und es schneit, aber die automatischen Eingangstüren bleiben für die herbeiströmenden Kunden geöffnet, die von den großartigen Sonderangeboten am zweiten Weihnachtstag profitieren wollen. Putenpasteten beispielsweise kriegt man heute zum halben Preis.
Ich lande in der Frischfischabteilung. Keiner hat mir gesagt, dass ich Handschuhe mitbringen soll. Nach kurzer Zeit fühlen sich meine Finger wie Eiszapfen an. Während ich die nassen, aufgetauten Fische aus den Kisten hole, tue ich mir leid. Und die Fische tun mir ebenfalls leid, wahrscheinlich war ihr Weihnachten auch nicht so toll.
Erst nach fünf Stunden fange ich an, Gefallen an der Sache zu finden, denn da ist der Fisch ausgepackt und meine Hände riechen wieder sauber. Jetzt ist es meine Aufgabe, die Preise zu überprüfen, und ich laufe mit einer coolen Knarre umher, die aus fünf Metern Entfernung einen Strichcode erfasst. Eine der Angestellten, eine Frau namens Joyce, erzählt mir, dass ihr Freund sie verlassen hat, als sie im achten Monat schwanger war, wegen einer anderen, die sich das Gesicht von Robbie Williams auf die Brust hat tätowieren lassen. Ich erzähle ihr von James.
»Und wann hast du dich von dem Arsch getrennt?«, fragt sie.
Meine Knarre verharrt über den zuckerfreien Weihnachtsdauerlutschern. »Offen gestanden weiß ich gar nicht so richtig, ob wir uns getrennt haben.« Joyces Augenbrauen wandern in die Höhe.
Aus den Backwaren kommt eine Frau mit toupiertem Haar auf uns zu. Auf ihrem Namensschild steht »Regionalleiterin K. Dobbs«. »Was machen Sie da?«, fragt sie mich.
»Ich checke die Preise.«
»Und Sie sind wer?« Sie tritt so dicht an mich heran, dass ich den Alkohol rieche, den sie letzte Nacht getrunken hat.
»Sophie Klein aus der Zentrale.«
»Ich habe nicht danach gefragt, wo Sie arbeiten. Egal, Sie fangen hier an der falschen Stelle an. Zuerst kommen die Preise der gekühlten Produkte, danach kommen die gefrorenen an die Reihe.«
»Aber Denise hinten im Büro hat gesagt, ich soll hier beginnen.«
Ihr Blick wandert über die Regalfächer mit den Süßigkeiten. »Interessiert mich nicht. Erst die gekühlten, dann die gefrorenen.«
Die normale Sophie Klein würde eine K. Dobbs einfach ignorieren. Aber heute fühle ich mich alles andere als normal. Wortlos laufe ich zur Damentoilette, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen. Vierzig Minuten später hocke ich noch immer auf dem Fußboden der Kabine und kann nicht aufhören zu schluchzen. Meine Wimperntusche läuft mir in grauen Bächen über die Wangen. Da es kein Toilettenpapier gibt, wische ich mit den Händen über mein Gesicht und schnäuze mir mit meinem T-Shirt die Nase. Sehr elegant.
Plötzlich zieht es schmerzhaft in meinem Bauch. Wenn ich daran denke, was sich letzte Nacht auf meiner Toilette abgespielt hat, würde ich sagen, ohne Klopapier stellt sich mir jetzt ein Riesenproblem. Außerdem befinde ich mich in einem Dilemma, denn ich weiß nicht, ob ich ersatzweise mein T-Shirt oder meine gelbe Vliesjacke von Fletchers benutzen soll. Aber da es hier auch keinen Abfalleimer gibt, bin ich so oder so geliefert. Denn wie und wo soll ich es nachher loswerden? Wenn mich damit jemand sähe, würde ich vor Scham sterben.
Wenn ich sehr, sehr schnell laufe, kann ich den guten Kilometer zurück zu meiner Wohnung in drei Minuten schaffen.
Bleiben Sie dran. Es kommt noch schlimmer.
Ich muss die Stadt verlassen.
Keine Sorge, ich habe mir nicht in die Hose gemacht, ich war nur kurz davor. In letzter Minute erschien K. Dobbs, die mich gesucht hatte. Ich saß auf der Toilette, schluchzend, mit heruntergelassener Unterhose. Ich bat sie, Joyce zu holen. Joyce kam, ich schilderte ihr die Lage. Sie lief nach oben, um eine Rolle Klopapier zu besorgen. Allerdings gab es nur noch eine Großpackung mit zwölf Rollen und kleinen Rentieren. Ich darf nicht vergessen, ihr irgendwann das Geld
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