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Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Titel: Süße Teilchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Newman
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Witzen.
    »Wie spät ist es denn?«
    »Kurz vor sieben.« In einem Land, in dem die Leute um vier Uhr nachmittags zu Abend essen, dürfte kurz vor sieben fast schon Mitternacht sein.
    Anscheinend habe ich länger in die Tiefkühltruhe geschaut, als ich dachte.
    »Was hast du da?« Meine Mutter beäugt die Tüte von Ralphs unter meinem Arm.
    »Eine Zeitung.«
    »Und was noch?« Ehe ich lügen kann, hat sie mir die Tüte entrissen, aber ich habe sie sowieso noch nie belügen können.
    »O nein, Sophie, das lasse ich nicht zu.«
    »Was denn? Ich rauche nur die Packungen, die in der Tüte sind. Danach höre ich sofort wieder auf.«
    »Wenn du so ein Dreckszeug rauchen willst, warte wenigstens, bis du am Flughafen bist. Da ist es billiger.«
    Richtig, und deshalb werde ich mir dort eine weitere Stange Zigaretten kaufen. Die hier stecke ich in meinen Koffer, und im Duty-free-Shop besorge ich mir die zweite Ladung und alles ist geritzt. Und wenn ich alle geraucht habe, höre ich wieder auf, denn erstens habe ich seit sieben Jahren nicht mehr geraucht und zweitens bin ich keine Raucherin.
    Meine Mutter fährt mich zum Flughafen. Auf dem Weg sagt sie mir mindestens neun Mal, dass ich bei meiner Ankunft in London frieren werde. Anscheinend vergisst sie, dass ich weiß, wie kalt es in England ist, und dass ich außerdem vierunddreißig bin und inzwischen weiß, wie man sich warm anzieht. Ich gebe ihr keine Antwort, woraufhin zwischen uns frostiges Schweigen herrscht. Ich schaue aus dem Fenster auf die Autos, die einander überholen, als hätten die Fahrer es alle sehr eilig, nach Hause zu kommen.
    Vielleicht sollte ich nie mehr nach London zurückfliegen und stattdessen hierbleiben und mir einen Job suchen – als fesche Kellnerin mit einem hübschen weinroten Schürzchen, wie man sie hier in den Coffeeshops trägt. Ich könnte einen Surfer kennenlernen, in der Sonne leben, mit Flip-Flops herumlaufen, in stickigen Malls abhängen. Ich stelle mir die Realität vor. Ich würde bei Lenny und meiner Mutter wohnen, würde von ihr angeschrien, weil ich mit ihrem Kreuzworträtsel-Bleistift die Einkaufsliste geschrieben habe, und müsste mit ansehen, wie sie Lenny langsam zu Tode mästet.
    Bei El Segundo verlassen wir die Autobahn und sind nun kurz vor dem Flughafen. Ich spüre, dass meine Mutter mich von der Seite ansieht. Ich wende den Kopf ab, aber mehr als einen Winkel von neunzig Grad schaffe ich beim besten Willen nicht.
    Sie seufzt. »Ich bin deine Mutter, Sophie. Warum sagst du mir nicht, was mit dir los ist. Ich bin doch kein Ungeheuer.«
    Ich schaue zu Boden.
    »Sophie. Irgendwas stimmt doch nicht. Vielleicht kann ich dir helfen. Warum sprichst du nicht mit mir? Geht es um diesen Mann?«
    »Darüber möchte ich wirklich nicht reden.«
    »Hab ich es mir doch gedacht. Lenny hat sich auch gewundert. Er findet, du bist viel zu dünn geworden.« Sie tätschelt mit einer Hand meine Schulter.
    »Mum, bitte, lass beide Hände am Steuer. Da vorn kommt der Century Boulevard. Du musst dich rechts einordnen.«
    Sie zieht ihre Hand zurück. »Ich will doch nur, dass du glücklich bist. Du machst mir Sorgen.«
    »Ich komm schon klar«, entgegne ich, während eine dicke Träne über meine Wange rinnt und auf meinen Sitzgurt fällt.
    Meine Mutter nickt. Vor der Abflughalle hält sie an. Ich höre sie schniefen. Als wir uns zum Abschied umarmen, ist ihr Gesicht so feucht wie meins.
    Da ich mich online eingecheckt habe, stelle ich mich an der Schlange vor der Gepäckaufgabe an und zwinge mich, an das zu denken, was mich in London erwartet. Mein Handy habe ich in meiner Wohnung gelassen, sonst wäre die Versuchung, James anzurufen, zu groß gewesen. Ab jetzt muss alles von ihm ausgehen, ganz gleich, was es ist.
    Dass wir wieder zusammenkommen, kann ich mir nicht vorstellen. Es sei denn, er fleht mich an, ihm zu verzeihen und beginnt eine Therapie. Aber wenn ich ihm eine dritte Chance gebe und er mich dann wieder verletzt – und warum sollte das nicht geschehen –, verliere ich wahrscheinlich den Verstand.
    Er wolle nachdenken, hat er gesagt. Er sei verwirrt. Mich kotzt das alles an.
    Ob er in London am Flughafen steht und auf mich wartet? Vielleicht hat er Laura eine E-Mail geschickt und sich nach meiner Ankunftszeit erkundigt. Bestimmt steht er da, wenn ich aus dem Gate komme. Ich würde das tun, wenn ich er wäre. Natürlich könnte er mir auch einen Brief geschrieben haben. Das ist zwar nicht sein Stil, aber es würde mir zeigen, dass er

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