Sueße Verfuehrung an der Cote d'Azur
Schaukelstühle sitzen. Michelle schloss die Flügeltür auf und ließ Alessandro den Vortritt.
„Beeindruckend“, sagte er, während er sich in dem Raum umsah. Darin standen Regale mit Kästen, in denen Malutensilien untergebracht waren, und Papierschränke. Auch die Staffeleien und mit Leinwand bespannten Keilrahmen sah er sich an. In der Küche bewunderte er vor allem das geräumige metallene Spülbecken mit der übergroßen Abtropffläche, in dem sich bequem Farbtöpfe und Pinsel auswaschen ließen. „Ohne die Zwischenwand könnte man den Raum noch besser nutzen“, murmelte er.
Michelle hielt sich abseits, während er umherwanderte, hin und wieder einen der Kästen öffnete und den Inhalt begutachtete. Er zog Schubladen eines Papierschrankes heraus und prüfte mit den Fingern die Beschaffenheit der Blätter. Er betrachtete Pinsel und Farbtuben, griff nach einer der Staffeleien und stellte danach alles ordentlich an seinen Platz zurück. Wie er mit den Dingen umging, faszinierte Michelle. Die meisten Menschen seiner Schicht ließen alles stehen und liegen. „Sie bezahlen uns dafür, dass wir hinter ihnen herräumen“, war der Standardspruch ihrer Mutter gewesen.
Jedes Mal, wenn er merkte, dass sie ihn beobachtete, lächelte er. Dann wurde sie glühend rot und schaute zur Seite. Wahrscheinlich wusste er um seine Wirkung auf Frauen.
„So viele Kunstbücher habe ich bei Terence wirklich nicht vermutet“, sagte er und strich mit dem Zeigefinger an den Bücherregalen entlang. Dann erregte ein Wälzer, der aufgeschlagen auf dem Esstisch lag, seine Aufmerksamkeit.
„Hm, über Raffael. Der gehört zu meinen Lieblingen. Das Buch kenne ich noch nicht. Darf ich es mir ein paar Tage ausleihen?“ Er nahm es zur Hand und blätterte darin.
Dass seine Wahl ausgerechnet auf dieses Buch gefallen war! Michelle kam es vor, als hätte er nach ihrem Herzen gegriffen. Sie wusste genau, was nun in ihm vorging, denn sie kannte alle Abbildungen sehr gut und hatte sich an der Schönheit der Bilder, an ihren glühenden Farben berauscht. Doch als er das Deckblatt aufschlug, brach sein versunkenes Lächeln jäh ab.
„Für Michelle Spicer, Trägerin des Lawrence-Preises für die beste Kunstmappe des Jahres“, las er laut. Dann sah er sie staunend an und lächelte wieder. „Es gehört also Ihnen?“
Sie nickte und brachte kein Wort heraus, weil seine Augen so funkelten.
„Nutzen Sie es als leichte Bettlektüre?“, fragte er spöttisch.
„Dafür ist es eigentlich zu schwer.“
„Für eine Person, vielleicht … Zu zweit ginge es besser. Der eine könnte vorlesen, der andere die Bilder anschauen.“
Seine Worte entzündeten ihre Fantasie. Es war weniger die Erwähnung einer gemeinsamen Lektüre als vielmehr die eines geteilten Bettes, die eine Kette unerlaubter Vorstellungen anregte. Michelle schnappte nach Luft und wich noch weiter zurück.
Sorgfältig legte er das Buch zurück auf den Tisch.
„Wollten Sie es denn nicht mitnehmen?“, fragte sie erstaunt.
„Wie könnte ich? Es gehört Ihnen und bedeutet Ihn sicher sehr viel.“
„Das stimmt. Aber ich leihe es Ihnen gern aus. Wenn Sie möchten.“
„Vielen Dank. Ich werde es bald zurückgeben.“ Er nahm das Buch wieder zur Hand und strich ehrfürchtig über den Deckel. „Dann ist dieses Atelier für Sie als Künstlerin sicher ein sehr anregender Ort. Wie viele Bilder haben Sie schon gemalt, seit Sie hier sind?“
„Kein einziges. Wegen der Arbeit bin ich nicht dazu gekommen.“
„Verstehe“, sagte er höflich. „Und wo befindet sich Ihre Mappe? Sie haben sie nicht zufällig mit hergebracht?
„Sie ist verbrannt.“ Mehr konnte und wollte Michelle dazu nicht sagen. Die Erinnerungen waren zu schmerzhaft.
„Das tut mir leid.“ Er sah ernsthaft betroffen aus. „Ich hätte sie mir gerne angeschaut. Und ich verspreche, Sie nicht mehr als nötig in Anspruch zu nehmen, damit Sie wenigstens während meines Aufenthalts hier die Zeit finden, Ihrer künstlerischen Arbeit nachzugehen. Jedenfalls werde ich selbst für mich kochen und auch die Einkäufe erledigen. Gibt es hier irgendwo in der Nähe einen Markt?“
Michelle nickte und war erleichtert. Sie hatte sich schon gefragt, weshalb ihr Arbeitgeber nicht einen seiner Köche mitgeschickt hatte, was er sonst tat, wenn er „Jolie Fleur“ Gästen überließ. Gewöhnlich besorgte sie dann den Einkauf frischer Lebensmittel und deckte den Tisch. Aber ihre bescheidenen Kochkünste reichten für verwöhnte Gaumen
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