Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suesse Versuchung

Suesse Versuchung

Titel: Suesse Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vera
Vom Netzwerk:
sie
    fünfzehn Minuten nach ihrer Ankunft in der Silverdale Road von Lady Elisabeth in
    deren Salon zitiert wurde, begann sie zu ahnen, dass ihr Vater die Strafe mit Bedacht
    ausgewählt hatte.
    Sie hatte schon an den Blicken der Leute, die ihnen begegneten, und noch viel mehr
    an den weit aufgerissenen Augen des Stallburschen, der ihr Rosalind abnahm, gesehen,
    dass man hier die Schicklichkeit der Bequemlichkeit vorzog. Zum Glück hatte das
    heimlich kichernde Dienstmädchen sie gleich auf ihr Zimmer gebracht und Sophie so
    Gelegenheit gegeben, sich schnell umzukleiden, und ihrer Tante statt mit ihrem
    geliebten weiten Reitrock in einem Kleid entgegenzutreten.
    Sie hatte drei Kleider mit – mehr besaß sie nicht – und dann eben diesen Rock, den
    sie oftmals in Schottland trug, wenn sie ausritt. Fast alle in ihrem Dorf und der

    Umgebung trugen diese Art von Röcken. Sie ließen sich bequem hochbinden und
    störten weder bei der Arbeit im Stall, noch auf dem Feld. Er war so weit, dass sie den
    Saum von hinten zwischen den Beinen durchziehen, in den Bund stecken, und dann im
    Herrensitz auf dem Pferd sitzen konnte. Die Beine waren dabei immer noch züchtig
    bis knapp unter die Knie verdeckt und alles, was sich darunter befand, wurde durch die
    Stiefel verborgen. Hier, auf englischem Boden, wohlgemerkt. Denn daheim ritt sie
    gelegentlich ohne Stiefel, mit bloßen Füßen und überhaupt sehr oft in Hosen aus.
    Und dann stand sie Lady Elisabeth das erste Mal gegenüber. Sie sah eine schlanke,
    fast dünne Frau in einem sehr eleganten Kleid. Das ergraute Haar war in so geordnete
    Locken gelegt, dass man den Eindruck hatte, keinem Härchen sei auch nur erlaubt,
    eine andere Richtung einzunehmen als die ordnende Hand ihm zugedacht hatte. Die
    Augen blickten kühl, die Nase war gerade und ein wenig spitz zulaufend, der Mund
    wäre hübsch gewesen, hätten die Lippen sich nicht streng zusammengepresst.
    Sophie fröstelte, kaum dass sie das Zimmer betreten hatte. Aber dann fasste sie sich
    ein Herz und wollte mit einem Lächeln auf die Frau zugehen. Ihre Tante jedoch blieb
    stocksteif auf der kleinen Bank sitzen, sah Sophie kalt entgegen und hob dann auch
    noch eine auf einem Stiel befestigte Brille vor die Augen, um Sophie zu betrachten.
    Sophie blieb unsicher stehen.
    „So. Du bist also Annabelles Tochter.“
    Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass von wohlerzogenen jungen Damen erwartet
    wurde, vor älteren Frauen zu knicksen. Sie sank ein wenig ein, bevor sie antwortete.
    „Ja, Madam.“ Sie merkte selbst, wie dünn ihre Stimme klang, und musste zugeben,
    dass sie eingeschüchtert war. Sie konnte mit dem Zorn ihres Vaters, mit den
    Sticheleien ihrer Brüder umgehen, aber diese Art von Behandlung war ihr fremd. Ihre
    Familie war weniger zurückhaltend. Man umarmte sich, küsste einander auf die
    Wange und begrüßte sogar Fremde noch wesentlich herzlicher, als diese Frau die
    Tochter einer Cousine willkommen hieß.
    Wieder ging der kalte Blick über sie. „Was immer man über deine Mutter sagen
    konnte, sie wusste sich zu kleiden. Unfassbar, dass sie mir ihre Tochter derart schlecht
    angezogen ins Haus schickt.“
    Sophie wurde rot. Sie hatte, als sie durch die Städte gekommen waren, und sie die
    anderen Leute beobachtet hatte, schon geahnt, dass ihre Kleidung nicht ganz dem
    Standard der wohlhabenden Engländerinnen entsprach, aber als sonderlich schlecht
    angezogen hatte sie sich nicht empfunden. Das war ihr bestes Kleid! Und es war erst
    zwei oder drei Jahre alt!
    „Ich hoffe, deine Eltern haben dir genügend Geld mitgegeben, um deine Garderobe
    wenigstens um einige grundlegende Stücke aufzubessern. So kannst du hier jedenfalls
    nicht aus dem Haus gehen. Die halbe Stadt würde sich über dich mokieren.“
    Sophie machte den Mund auf, aber in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und
    ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Malcolm stand darin. Sophie sah mit Genugtuung,
    wie sein bereites Grinsen beim Anblick von Tante Elisabeth schwand, und er von dem
    kalten durchbohrenden Blick, den diese Stielbrille noch intensivierte, ebenfalls
    eingeschüchtert wurde. Dann ging es ihr also nicht allein so. Das war beruhigend.
    „Und wer ist das?“ Lady Elisabeths Stimme war wie von Frost durchzogen.

    „Das ist mein Bruder, Madam“, erklärte Sophie hastig, als Malcolm Lady Elisabeth
    lediglich stumm anstarrte und nicht mehr als eine hölzerne Verbeugung zustande
    brachte.
    „Dein Bruder ist ebenfalls gekommen?“ Die hauchdünnen

Weitere Kostenlose Bücher