Suesse Versuchung
sehen, wie schnell die Zeit vergeht.
4. K APITEL
Sophie hielt außerhalb des lädierten Zauns und betrachtete neugierig den wuchernden
kleinen Park und das zweistöckige Haus mit den schief in den Angeln hängenden
Fensterläden und dem abgelösten Verputz.
Das also war Marian Manor, Großmutters altes Haus, das Sophie nach dem Tode
ihrer Großmutter als älteste Enkelin geerbt hatte. Ihre Großmutter, Mrs. Stourton, hatte
ihre Tochter an die Schotten verloren, das Testament jedoch offenbar in der Hoffnung
abgefasst, dass sich doch noch eine aus dem Geschlecht derer von Stourton-McIntosh
fand, die hierher zog. Sophie hatte zwar nicht die geringste Absicht, aber sie war
neugierig auf das Haus gewesen, und sie war jetzt, da sie es sah, stolz darauf.
Ihre Großmutter hatte ihre Familie vor etwa zehn Jahren einmal in Schottland
besucht, als Sophie elf gewesen war, und war einige Wochen geblieben. Eine sehr
liebenswerte Frau. Dann war sie wieder heimgekehrt, aber bald zu ihrer ebenfalls
verwitweten Schwester nach London gezogen. Und vor zwei Jahren war sie zur Trauer
ihrer schottischen Familie an der Grippe gestorben. Sophies Mutter war daraufhin nach
London gereist und hatte dort von dem Testament erfahren.
Und jetzt war Sophie also hier. Es war nicht leicht gewesen. Sie hatte sich wie so
oft, wenn sie etwas unternehmen wollte, das ihre Tante für nicht standesgemäß ansah
wegschleichen müssen. Sie hatte in den ersten Tagen ihren Vetter Henry, der
angeblich die Schlüssel von Marian Manor besaß, gebeten, sie zu begleiten, aber der
hatte so vehement davon abgeraten das Haus zu besichtigen, dass Sophie nach außen
hin nachgegeben und einen Alleinbesuch geplant hatte. Sie schüttelte jetzt noch den
Kopf, wenn sie daran dachte, dass Henry sogar behauptet hatte, es würde hier spuken.
Ein markanter Fehler jeder daheim in Schottland hätte gewusst, dass dies der letzte
Anstoß war, um Sophie auf jeden Fall hierher zu locken.
Sophie unterzog ihr Haus abermals einer Betrachtung. Es war bezaubernd. Und viel
größer als sie gedacht hatte. Der Park war nun wildromantisch überwuchert, bedurfte
jedoch nur eines entschlossenen Gärtners, um wieder einen angemessenen Rahmen für
dieses hübsche Anwesen abzugeben. Das Haus selbst war möglicherweise gar nicht so
baufällig, wie Henry behauptet hatte. Das Dach wirkte von hier aus ganz ordentlich
und unter dem abgeschlagenen Verputz sah man, dass zumindest das Erdgeschoß aus
festen Steinquadern bestand. Also gutes Material, mit dem man etwas anfangen
konnte. Ein frischer Verputz, die Fensterläden repariert, gestrichen, die gesprungenen
Scheiben neu eingesetzt, und schon war Marian Manor ein wahres Schmuckkästchen.
Den rankenden Efeu konnte man zum Teil lassen, der machte sich sehr hübsch.
Zum ersten Mal seit ihrer Verbannung empfand Sophie so etwas wie Interesse und
Freude. Es war schade, dass sie nicht hierher ziehen konnte, sondern bei Tante
Elisabeth und ihrer Cousine ausharren musste. Zehn Tage näherer Bekanntschaft mit
den beiden hatten gereicht, um Sophie selbst das Zusammenleben mit einem Hausgeist
schmackhafter zu machen als einen weiteren Tag in der Silverdale Road.
Tante Elisabeth erlaubte ihr kaum, auch nur einen Schritt unbeobachtet außer Haus zu
gehen. Sophie wusste nicht, was Vater ihrer Tante über die Gründe, die sie hierher
verbannt hatten, mitgeteilt hatte, aber selbst wenn Lady Elisabeth nichts von dem
eingestürzten Bergwerk wusste, so empfand sie selbst nach so vielen Jahren noch tiefe
Genugtuung dabei, Sophie den Skandal vorzuhalten, den ihre Mutter damals ausgelöst
hatte. Denn dass diese Schande noch lange nicht vorbei und vergessen war, hatte sie
nicht nur von der widerwärtigen Base und Tante Elisabeth, sondern auch noch von
Tante Elisabeths lästigsten Freundinnen erfahren, die sich lebhaft erinnerten und dem
Benehmen und Treiben der Tochter der verruchten Annabelle größte
Aufmerksamkeit schenkten.
Sophie fand dies mit jedem Tag ärgerlicher. Es war schließlich nicht ihre Schuld,
dass Robert McIntosh ihre Mutter vor fünfundzwanzig Jahren in Eastbourne gesehen,
geküsst, verführt und bald darauf nach Gretna Green entführt hatte. Der Skandal hatte
damals nicht nur Eastbourne, sondern die ganze Umgebung im Umkreis von hundert
Meilen erfreut und schien immer noch nicht in Vergessenheit geraten zu sein.
Dabei hatte Sophie nicht das geringste Interesse daran, sich ausgerechnet
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