Sueße Versuchung
einen Todesschrecken, den ich nicht einmal in Worte fassen kann! Und dann droht sie mir auch noch, mich zu verlassen!« Er sank nach diesem Ausbruch erschöpft in seinen Lehnstuhl zurück. »Ich … würde es nicht ertragen, wenn jemand auf sie schießt und sie getötet wird.« Wie in diesem Albtraum. Das war etwas, das nicht wahr werden durfte. Niemals.
Melinda musterte ihren mühsam nach Fassung ringenden Bruder voller Mitgefühl.
Dann fragte sie: »Wo ist Sophie jetzt?«
Edwards heiles Auge funkelte wütend. »Was weiß ich? In ihrem Zimmer vermutlich.
Oder eher im Stall. Schmollen und Rosalind erzählen, was für einen brutalen Ehemann sie hat.«
»Wer ist Rosalind?«
»Ihr Pferd. Sie redet mit ihr.«
Melinda hob das Taschentuch etwas an und betrachtete das zugeschwollene, rötlichblaue Auge, die Lippe. »Dabei ist sie eine so zarte Person. Sie scheint stärker zu sein als sie aussieht.«
»Das war Vaters Schreibkasten mit dem alten Tintenfass, den Federn und dem Siegelwachs. Sie hat ihn gepackt und mir darübergedonnert. Schneller, als ich mich bücken konnte.«
Melinda kicherte. »Deine Sophie ist unternehmungslustig, nicht wahr?«
»Sei bloß …«
»Schon gut, schon gut. Ich weiß, es ist meine Schuld. Und es tut mir wirklich leid. Ich bin gekommen, um dich und Sophie um Verzeihung zu bitten.« Sie tätschelte ihrem Bruder liebevoll die Hand. »Weißt du, Edward, es gefällt mir, dich so verliebt zu sehen. Ich hätte dir das nicht zugetraut.«
»Halt den Mund.«
»Nein, es gefällt mir wirklich. So kenne ich dich gar nicht. Ich hätte überhaupt nicht gedacht, dass du jemals heiratest. Du warst früher ein schrecklicher Weiberheld, der sich nie festlegen konnte. Und später hätte ich nur eine dieser eleganten, kühlen Frauen erwartet, die sich gut in den Salons und im Ballsaal machen und sonst genau wissen, wo ihr Platz an der Seite ihres Mannes ist. So wie man das von mir erwartet hat«, fügte sie mit leichter Bitterkeit hinzu. »Aber plötzlich hast du eine Schottin, die als Junge herumläuft, und die meinen kühlen Bruder dazu bringt, sie vor Zorn übers Knie zu legen.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Du bist viel zu kalt nach James' Tod geworden.«
Edward wandte sich ab.
»Willst du mir nicht erzählen, was damals war?«, fragte Melinda sanft. »Es wird dich erleichtern, und James war auch mein Bruder. Ich trauere ebenso um ihn wie du.«
»Aber du hast nicht zugesehen, wie er starb.«
»Und ich bin auch nicht an deiner Stelle von den Franzosen gefangen genommen worden«, setzte Melinda ruhig hinzu.
»Nein«, sagte Edward, »ich will nicht darüber reden.«
»Dann erzähle es Sophie.« Melinda streichelte über sein Haar. »Sag ihr, was geschehen ist. Es wird dir gut tun und sie mit dir versöhnen.« Sie setzte sich auf das Bett und strich ihren Rock glatt. Sie sah so traurig aus, dass Edward weich wurde. Er wusste, was in ihr vorging. Wenn sie auch nur halb so verliebt in Jonathan war wie er in Sophie, dann musste sie verdammt leiden. Er hatte Sophie wenigstens in seinem Haus und seinem Besitz. Sie gehörte ihm, und wenn sich alles geklärt hatte, sie sich für diesen Angriff entschuldigte, dann konnte er sie jeden Tag seines Lebens sehen, sie besitzen, sie lieben. Und wenn nötig, dieses reizvolle Hinterteil abermals mit der flachen Hand bearbeiten. Melinda dagegen würde Jonathan, jetzt, wo William zurückgekehrt war, verlieren.
»Was wirst du tun, Melinda?« Er war besorgt um sie. Wenn sie William verließ, dann hatte das nicht nur für sie gesellschaftliche Konsequenzen, sondern unter Umständen auch für Jonathan. William hatte damit gedroht, Jonathan zu ruinieren. Er konnte dies aufgrund seiner Kontakte spielend leicht tun, gleichgültig, wie verdient sich Jonathan auch in der Vergangenheit gemacht hatte.
»Ich werde William nicht verlassen.« Melindas Stimme klang ruhig. Zu ruhig.
Tonlos.
Edward blickte auf seine Hände. »Jonathan wird ohnehin wieder fortgehen.«
»Das tut William auch.« Melinda zuckte mit den Schultern. »Sie werden mich alle verlassen.«
»Aber mit William bist du verheiratet. Er kommt zu dir zurück, und er erhält dich.«
Sie lachte spöttisch auf. »Ja, das ist es, was mich wirklich glücklich macht. Er kommt nach Monaten und Jahren zurück, und ich darf über seinen Sold verfügen! Was will eine Frau mehr?! Wenn wir Kinder hätten, sähe alles ganz anders aus. Dann hätte ich wenigstens eine Aufgabe. Jemanden, der bei
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