Sueße Versuchung
sofort in Aufruhr versetzte und sie würgen ließ.
Sophie versuchte langsam durchzuatmen, möglichst wenig zu schnuppern, und nicht näher über diesen Fetzen nachzudenken.
Jemand fasste sie am Arm, und sie stolperte mit verbundenen Augen neben den Männern her. Gelegentlich hörte sie Winstons Stimme, der leise Befehle gab. Dumpfer Geruch und Kälte schlugen ihr entgegen. Erinnerungen an ähnliche Gerüche, Geräusche, das Hallen ihrer Schritte stiegen in Sophie hoch. Das war wie damals in dem Bergwerk. Hatte man sie ebenfalls in einen alten Stollen gebracht? Gab es welche in der Umgebung von Eastbourne? Sie versuchte sich zu erinnern, wie lang die Fahrt gedauert hatte. Ihr war sie endlos vorgekommen, aber in Wirklichkeit konnten sie nicht länger als zwei Stunden unterwegs gewesen sein. Oder sollte sie sich so irren?
Sie wandte den Kopf dorthin, wo sie Winston vermutete. »Wo sind wir hier? In einem Bergwerk?«
»Fast, mein kluges Kind. Es sind alte Schmugglerhöhlen.« Winston war ganz dicht neben ihr. »Hier haben sich früher berühmte Banden herumgetrieben, aber seit die Höhlen einmal ausgeräuchert wurden, standen sie leer und wurden im Laufe der Jahre vergessen. Ein perfektes Versteck für uns.«
»Wurden diese Männer nicht alle gefangen und gehenkt? Haben Sie keine Angst, dass es Ihnen ebenso ergeht?«
»Dir wird dein freches Mundwerk noch vergehen«, sagte Winston ohne jeden Ärger.
Sophie verstummte. Ihr war eingefallen, dass sie die Schritte zählen könnte. Das hatten Patrick und sie in dem Bergwerk auch gemacht, weil sie die Länge der Gänge hatten feststellen wollen. Vielleicht half es ihr weiter, wenn sie ungefähr wusste, wie tief die Höhlen in den Berg hineinführten.
Sie bogen zweimal ab. Einmal wurde eine Tür vor ihnen geöffnet, deren Knarren Sophie durch Mark und Bein ging, dann fiel sie hinter ihnen zu. Sie lauschte angestrengt und hörte an den Schritten, dass einige Männer zurückgeblieben waren.
Endlich hielten sie an.
Jemand griff nach dem ekligen Tuch, das man ihr um die Augen gebunden hatte, und Sophie blinzelte in das Licht zweier Lampen. Sie sah sich um. Vor der Höhle waren noch mindestens acht Männer um sie herumgestanden, und in einiger Entfernung hatte sie noch etliche bei einem Wagen gesehen. Nun befand sie sich mit Winston – Sophie hatte sich schon längst entschlossen, das unverdiente
Sir
wegzulassen – und zwei anderen Männern allein. Einer davon war ein groß gewachsener Mann mit einer Miene, als hätte er sein Leben lang nicht einmal gelächelt. Sie erinnerte sich, ihn schon bei Marian Manor gesehen zu haben. Wenn er hier war, war vielleicht auch Jonathan in der Nähe. Er würde doch wohl nicht zulassen, dass man sie tötet, oder?
Sie schienen sich am Ende eines Ganges zu befinden. Vor ihnen war in der Wand eine kleine Einbuchtung wie eine Nische, in die Winston eine Kerze stellte.
»So. Und nun zum geschäftlichen Teil.«
Sophie sah ihn abwartend an. Ihre kopflose Panik war etwas vergangen. Sie hatte immer noch Angst, so dass ihre Hände zitterten, aber sie konnte wieder besser denken.
Es hatte ihr geholfen, die Schritte zu zählen, auf den Widerhall der Geräusche zu lauschen und sich die Richtung zu merken. Es hatte sie abgelenkt und ihr das Gefühl vermittelt, nicht vollkommen preisgegeben zu sein.
»Was haben Sie mit meinem Pferd gemacht?«
»Dein Pferd?«
»Als Sie mich überfallen haben, habe ich noch gesehen, wie einer Ihrer … Schergen nach Rosalind griff.«
»Rosalind?« Winston lachte spöttisch. »Ein hübscher Name für ein hübsches Pferd.
Wir haben Rosalind natürlich mitgenommen. Vielleicht lässt sich noch etwas mit ihr anfangen. Und wenn nicht, können wir sie immer noch zum Abdecker bringen.«
Sophie wurde blass. »Was immer Sie von mir wollen, Sie werden es nicht bekommen, wenn Sie Rosalind etwas antun!« Rosalind war mehr als ihr Pferd. Sie war ihre Freundin.
»Das werden wir ja sehen. Hier«, Winston hielt ihr ein Stück Papier hin. »Du musst nur das unterschreiben und deinem Pferd passiert nichts. Und du darfst wieder gehen.«
Sie sah auf das Papier. »Was ist das?«
»Die Übertragung von Marian Manor an mich.«
Sophie spürte, wie die Angst einem rechtschaffenen Ärger wich. »Marian Manor!
Mein Haus, in dem Sie und Ihre Verbrecher Unterschlupf gefunden haben!«
»Verbrecher? Welch ein unfreundlicher Ausdruck. Aber bitte, wohl nicht ganz unrichtig«, meinte Winston nachsichtig. »Du darfst mich nennen, wie du
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